Herdecke/Vorhalle. . Noch ist es ein Testlauf, doch laufen die neuen Maschinen der Spinnvliesproduktion bei Dörken in Vorhalle schon. Der Herdecker Unternehmen hat einen Teil der Produktion über die Ruhr verlagert.

Es sieht aus wie feines weißes Engelshaar, was da durch die Maschine läuft. Tausende Fäden, unendlich. Im Innern, verborgen vor den Blicken, schlängeln sich diese Fäden auf ein Band, kreuz und quer übereinander, bilden so ein Netzwerk, das Stabilität garantiert. Vliesproduktion bei Dörken, scheinbar nichts Neues für das Unternehmen; mit einer weiter entwickelten Technologie jedoch wieder neu und aufregend – und erst einmal nur im Testlauf.

Nur einen weiten Blick vom Stammwerk und der laufenden Vliesanlage entfernt („bei gutem Wetter kann man vom Silo aus den Stammsitz sehen“, sagt Firmenchef Karl E. Dörken), ist in Vorhalle ein neues Werk entstanden. In der Brüninghausstraße 8 soll eine neue Spinnvliesproduktion anlaufen. Dort „spinnt“ eine neue Maschine das feine Engelshaar zu einem so genannten „Gelege“. Es ist quasi ein Blick durchs Schlüsselloch, den wir wagen dürfen. Denn offiziell eingeweiht ist der Neubau noch nicht.

Filzen von Wolle

Doch das Bild vom Schlüsselloch taugt nicht mehr: Es stammt aus Zeiten, in denen Schlüssel noch einen Bart hatten und Industrieproduktion laut und schmutzig war. Heute öffnen sich Rolltore automatisch für die Gabelstapler, sind die Hallenböden glatt und sauber, wird der Lärm versteckt. „Wir haben über das geforderte Maß in Lärmschutz investiert“, sagt Karl E. Dörken. Gebaut wurde ein Haus im Haus, damit das, was von der lauten Industrie übrig geblieben ist, nicht nach draußen dringt. Meist wird das Vlies still und leise zwischen zwei heißen Walzen „verbacken“. Manchmal kommt aber auch der Nadelstuhl zum Einsatz und der macht seinem Namen alle Ehre. Mit tausenden von stählernen Spitzen sticht er auf das Engelshaar ein, verwandelt den feinen Vliesschleier zu einer Art Filz. „Es ist das gleiche Prinzip wie das Filzen von Wolle“, erklärt Dörken-Sprecherin Dagmar Riefer.

Die mechanische Bearbeitung sorgt dafür, dass das Vlies an Festigkeit gewinnt. „Je nachdem, wo das Vlies eingesetzt wird und was es leisten soll, stellen wir es leichter oder schwerer her.“

Zu sehen ist der Nadelstuhl nicht. Stattdessen verschwindet das filigrane Gespinst über einer Rolle in einem kleinen Gebäude, das einen Teil der Produktionsstraße überdacht. Was wie ein Schutz vor neugierigen Blicken wirkt, ist ausgeklügelte Schallschutztechnik. Enge Gänge, so vollgestopft mit schallschluckenden Material, dass die eigene Stimme ohne Resonanz bleibt. „Ein toter Raum“, stellt Karl E. Dörken fest, der weiß, wie Architektur und Töne korrespondieren können. Schließlich ist der Dörken-Saal an der Wetterstraße bei Musikern und Musikliebhabern wegen seiner guten Akustik gleichermaßen beliebt.

Spaghetti in Maccaroni

Doch hier geht es nicht um den guten Ton, in Vorhalle geht es um die Zukunft des Unternehmens. Mit welchen Mitteln Dörken in diese Zukunft geht, soll die Konkurrenz nicht sehen. Darum wacht Projektleiter Rainer Studtrucker penibel drüber, worauf die Kamera gerichtet wird. Betriebsgeheimnis. Das Schlüsselloch bleibt an mancher Stelle verschlossen. Ein Geheimnis darf dennoch gelüftet werden. Auch wenn der Bedarf vor Weihnachten steigt: Dörken stellt dann doch kein Engelshaar her, sondern lässt Polyester und Polypropylen schmelzen, um die feinen Fäden daraus zu ziehen. So fein, dass selbst die Engel neidisch werden könnten. „Mit einem neuen Verfahren können wir einen Faden mit einem zweiten ummanteln“, erklärt Dörken. Und um noch ein Bild zu bemühen: Es wird ein Faden hergestellt, bei dem eine „Spaghetti in einer Maccaroni steckt“. Nur, dass beide Fäden zusammen zehn Mal dünner sind als ein menschliches Haar.

Testphase läuft noch

Zwei bis drei Monate dauert die Testphase an der Brüninghausstraße. Dann müssen die Abläufe in und um die neue Fertigungsstraße stimmen. „Vor allem die Rüstzeiten dürfen nicht zu lang sein“, sagt Dörken. Ein Produktwechsel muss so schnell und flexibel wie möglich über die Bühne gehen. Kameras zeichnen dabei den Produktionsprozess auf, unter rotem Licht wird die Qualität des Vlieses geprüft. Mit bloßem Auge ist hier kaum etwas zu erkennen, zu schnell saust das fertige Vlies über die Rollen der Anlage. Wie schnell? „Wie ein Sprinter“, sagt Dagmar Riefer. Ein Weltklassesprinter. Diesen Titel nimmt Dörken gerne in Anspruch.

Schließlich wird hinter der Tür mit der Nummer 8 auch bald ein Weltklasseprodukt hergestellt.