Hagen. .
Das NRW-Programm „Reine Ruhr“ verpflichtet die Wasserwerksbetreiber entlang der Ruhr dazu, eine zusätzliche Aufbereitungsstufe zur Trinkwassergewinnung in Ruhrwasserkraftwerken zu errichten. Das würde für das Wasserwerk in Hengstey eine Investition von etwa 14,5 Millionen Euro bedeuten. Ein Liquiditätsverlust, den Enervie gerne vermeiden möchte, indem man sich stattdessen den Wasserwerken Westfalen (WWW) anschließt.
Die Hagener Politik scheint jedoch keineswegs mit breiter Mehrheit bereit zu sein, die Eigenständigkeit beim Thema Wasser aufgeben zu wollen. Aber auch der Wirtschaftsbetrieb Hagen, so hat ein Spitzengespräch am vergangenen Freitag auf Vorstandsebene ergeben, sieht sich aktuell nicht berufen, die Verantwortung für die Trinkwasserversorgung der Stadt zu übernehmen. Zumal Enervie bei den Treffen unmissverständlich klargestellt hat, sich von der Wassersparte auf gar keinen Fall trennen zu wollen.
Vor der abschließenden Entscheidung des Rates Mitte November, der sich die Enervie-Spitze – so die Signale aus Haßley – in der entscheidenden Aufsichtsratssitzung Anfang Dezember kaum entgegenstellen möchte, beantwortete der Energieversorger einen umfangreichen Fragenkatalog der Mandatsträger zur Trinkwassersituation. Zu den wesentlichen Punkten hier eine Zusammenfassung:
1.
Warum möchte Enervie aus der Trinkwasserproduktion aussteigen?
Das ist gar nicht der Fall. Das Unternehmen betreibt weiterhin das Wasserwerk Haspe. Außerdem wird Enervie durch die Einbringung des Wasserwerkes Hengstey in die WWW im Gegenzug Anteilseigner an den Wasserwerken Westfalen mit künftig fünf Wasserwerken. Gleichfalls betreibt Enervie auch weiterhin die Talsperren der Stadtwerke Lüdenscheid und sorgt auch weiterhin für die Wasseranalytik. Die Kompetenz im Bereich der Wasserwirtschaft bleibt somit vollständig bestehen.
2.
Hat Hagen denn dann noch Einfluss auf das eigene Trinkwasser?
Natürlich. Die Steuerung der Netze und somit die Einspeisung wird durch den Enervie-Netzservice durchgeführt, die Wasseranalytik durch das eigene Labor. Das Wasser kommt weiterhin aus der Hasper Talsperre und der Ruhr. Das Wasser wird den Kunden auch weiterhin von Mark-E angeboten und kommt aus denselben Quellen aus kommunaler Hand. Aus der Sicht der Hagener Kunden ändert sich überhaupt nichts. Mark-E macht die Abrechnung und erstellt die Rechnungen wie heute.
3.
Fehlen Enervie die Mittel, um die Investitionen in das Wasserwerk in Hengstey zu stemmen?
Die Investitionen in eine neue Aufbereitungsstufe belaufen sich auf etwa 15 Millionen Euro. Da es sich um eine regulatorische Auflage der Umweltbehörden handelt, würde eine solche Investition direkt auf die Wasserkunden umgelegt, also auf den Wasserpreis. Auf dieser Basis ist eine Finanzierung kein Problem. Rückstellungen wurden daher auch nicht getätigt. Wir haben aber in Hagen strukturbedingt bereits einen hohen Wasserpreis. Hier ist also eher die Frage, inwieweit den Kunden steigende Wasserpreise zuzumuten sind. Enervie selbst spricht von gut vier Euro pro Jahr und Haushalt – also etwa die Schwankung bei einer Tankfüllung.
4.
Wie hoch waren die Investitionen in die Hagener Trinkwassererzeugung in den vergangenen Jahren?
Die Investitionen in die Talsperre und das Wasserwerk Haspe beliefen sich auf etwa sieben Millionen Euro. Das Werk ist gerade angelaufen und wird eingefahren. Für die nächsten 30 Jahre sind hier also keine größeren Investitionen zu erwarten. Das Wasserwerk Hengstey wurde in den Jahren 2004 bis 2009 im laufenden Betrieb umfangreich saniert. Die Investitionskosten hierfür beliefen sich insgesamt auf etwa 16 Millionen Euro. Jetzt sind weitere knapp 15 Millionen Euro fällig.
5.
Lässt sich der Ausbau in Hengstey angesichts einer sinkenden Jahresproduktion nicht begrenzen?
Leider ist für die Auslegung der Kapazität einer Anlage wie in Hengstey nicht die Jahresproduktion entscheidend, sondern die Stundenspitze, die über einen längeren Zeitraum geliefert werden muss. Für die Versorgung von Hagen beträgt diese Spitze 2000 Kubikmeter in der Stunde. Diese Kapazität ist für Hagen vorzuhalten und zieht die entsprechenden Investitionen nach sich. Die Produktionskosten für das Wasserwerk Hengstey sind vergleichsweise hoch anzusiedeln. Die Produktionskosten orientieren sich in erster Linie an den Strukturkosten und nur wenig an den variablen Kosten. Das WW Hengstey ist für eine Jahreskapazität von ca. 20 Mio. Kubikmetern ausgelegt und wird nach vollständiger Inbetriebnahme Haspe nur noch etwa 7 bis 8 Mio. Kubikmeter produzieren – ein Auslastungsgrad von 40 Prozent.
6.
Wie kommt das Wasser von den Westfälischen Wasserwerken nach Hagen?
Über eine etwa sieben Kilometer lange Rohrleitung im Durchmesser 70 Zentimeter . Die Investition tragen die WWW. Diese sind in den Rechnungen des künftigen Wasserpreises berücksichtigt. Die Leitung vom Wasserwerk Westhofen 2 nach Hagen erfolgt über eine neue WWW-eigene Leitung. Der Investitionsbedarf für diese Leitung wird derzeit mit etwa acht Millionen Euro veranschlagt. Es ist beabsichtigt die bestehende Trasse von Westhofen nach Herdecke zu nutzen.
7.
Was wird bei einer Versorgung durch WWW aus dem Waserwerk in Hengstey?
Hengstey wird Ende 2017 bei Schließung einen Buchwert von etwa vier Millionen Euro besitzen. Alle anderen Investitionen sind bis dahin abgeschrieben. Eine Einbringung von Hengstey in die WWW erfolgt nicht. Es wird lediglich die Produktionsmenge aus Hengstey als Bezugsmenge in die Kooperation eingebracht. Hengstey wird geschlossen, durch WWW zurückgebaut und verbleibt inkl. Grundstück im Eigentum von Enervie. Die Schließung bedeutet eine Sonderabschreibung, die von Enervie getragen wird. Über die Zukunft des Standortes ist derzeit noch keine Entscheidung getroffen worden. Die Chance einer Vermarktung ist gegeben.
8.
Warum ist die Trinkwassergewinnung in Hengstey im Verhältnis zu einer WWW-Beteiligung unwirtschaftlich?
Der wesentliche Vorteil einer Beteiligung an WWW resultiert aus dem nachhaltig günstigeren Wasserpreis. Hengstey hat im Falle eines künftigen Betriebs das große Problem, dass sich die Auslastung der Kapazität auf einem Niveau von rund 50 Prozent bewegen wird (mit sinkender Tendenz). Entsprechend verteilen sich die bestehenden fixen Kosten auf eine vergleichsweise geringe Menge Wasser, was natürlich spezifisch (€/m³) zu hohen Preisen führt. Dieser Effekt wird sich in den nächsten Jahren noch überproportional verschärfen. Die WWW hingegen verfügen über eine Mengenstruktur, die es erlaubt, die bestehenden Wasserwerke deutlicher besser auszulasten. In Verbindung mit zusätzlichen Synergien verteilen sich die Fixkosten der WWW auf eine relativ größere Menge, so dass die spezifische Kosten (€/m³) nachhaltig günstiger ausfallen.
9.
Verliert die Politik nicht ihren Einfluss, wenn Enervie die selbstbestimmte Wassererzeugung gegen eine 7,5-prozentige Beteiligung an WWW tauscht?
Ja, naturgemäß müsste eine Abstimmung mit den Partnern in der Gesellschaft WWW erfolgen, realistischerweise würde der direkte Einfluss von Enervie sinken. Der Gesellschaftsanteil Enervie würde sich an der Abnahmemenge im Verhältnis zu den übrigen, kommunalen Gesellschaftern orientieren. Das Unternehmen geht jedoch davon aus, dass alle kommunalen Partner – insbesondere bei den öffentlich stark diskutierten Themen wie z.B. Trinkwasserqualität – grundsätzlich ein gleichlautendes Verständnis haben. Schon heute erfolgt eine intensive Abstimmung über die Zusammenarbeit in der „Arbeitsgemeinschaft der Wasserwerke an der Ruhr“. Zudem unterliegen alle „selbstbestimmten Wassererzeuger“ den gleichen und sehr umfangreichen wasserrechtlichen, gesundheitsrechtlichen und preisrechtlichen gesetzlichen Vorschriften und Anforderungen an Wasserqualität und betriebliche Sorgfalt. Ergänzend erhält Enervie einen Sitz im Aufsichtsrat der WWW (insgesamt neun Mitglieder) und zwar ausgestattet mit einem entsprechenden Minderheitenschutz.
10.
Gäbe es Qualitätsunterschiede, wenn das Wasser von WWW kommt?
Nein, denn die Wasserherkunft bliebe mit der Hasper Talsperre und der Ruhr sensorisch und chemisch identisch. Das Rohwasser würde im Flussverlauf lediglich etwa sieben Kilometer oberhalb der derzeitigen Stelle entnommen. Selbstverständlich sind die Wasserwerke Westfalen technisch auf der Höhe der Zeit, die Trinkwassernormen werden eingehalten. Dies stellt Enervie mit der Analytik, aber natürlich auch die Behörden vollumfänglich sicher. Die Wasserwerke Westfalen erhalten ebenfalls eine weitergehende Aufbereitungsstufe, wie sie auch für Hengstey geplant war.
11.
Bleibt die dauerhafte Wasserversorgung aus der Hasper Talsperre sichergestellt?
Ja, die Hasper Talsperre bleibt ein wichtiger Eckpfeiler der Wasserversorgung in Hagen und wird zukünftig wie geplant auf dem bisherigen Produktionsniveau (ca. 3 bis 3,5 Mio. Kubikmeter pro Jahr) zur Hagener Wasserversorgung beitragen. Die über die vereinbarte Mindestabnahmemenge von WWW hinausgehende Wassermenge würde vorrangig aus Haspe eingespeist und auch vorzugsweise den Hasper Kunden zur Verfügung stehen. Sofern mehr Talsperrenwasser in Nassjahren zur Verfügung steht, wird in Haspe auch mehr produziert. Wichtig ist bei dem Konzept auch der Beibehalt von zwei Trinkwasserquellen – der Hasper Talsperre und der Ruhr. Auch im Falle einer Havarie an der Ruhr verbliebe ständig eine eiserne Reserve von rund 400 bis 500.000 Kubikmetern. Damit kann Hagen etwa zehn bis zwölf Tage allein über Haspe und über eine Besicherung durch die AVU notversorgt werden.
12.
Wie wirkt sich ein Einstieg bei WWW auf das Enervie-Personal aus?
Die Anzahl der betroffenen Mitarbeiter ist überschaubar. Als kommunale Unternehmen sehen sich die Gesellschafter der Wasserwerke Westfalen und Mark-E verantwortlich für das Personal. Ein Teil der Mitarbeiter wird zu den Wasserwerken Westfalen übergehen, ein anderer Teil innerhalb des Wasserbereiches der Mark-E weiterhin im Einsatz bleiben. Es wird keine betriebsbedingten Kündigungen geben.