Schwerte. .
Ingenieur, Jagdflieger, Lokführer, Fernfahrer. „Ich habe x Berufe gemacht“, blickt Walter Rehling auf bewegte 91 Lebensjahre zurück. Sie gäben ein spannendes Regiebuch für einen Film ab, der leider nie gedreht wurde. Seine Kamera richtet der Senior immer nur auf andere – zuletzt meistens die Mitbewohner im Haus am Stadtpark.
Die freuen sich schon darauf, einmal im Monat von Walter Rehling zum Kinonachmittag eingeladen zu werden. „Ich bin jetzt bei Film 148“, kann er aus einem Riesen-Fundus schöpfen. Meistens sind Urlaubsreisen das Thema. Mit der Transsib durch die Sowjetunion, durch die Mongolei oder durch Indien.
Neuestes Werk feiert Premiere
Im nächsten Monat feiert sein neuestes Werk Premiere. Ein Streifen über seine jüngste Schiffs-Kreuzfahrt auf dem Rhein von Basel nach Amsterdam. Alles selbst geschnitten und vertont am Rechner auf dem Schreibtisch in seiner betreuten Wohnung. In seniorengerechter Länge: „Ich peile immer 40 Minuten an.“
Zehn Minuten mehr Spieldauer gönnt Rehling seinem allerersten Film, den er im Jahre 1955 in seiner Heimatstadt Holzwickede über Gewerbe, Industrie und ein Schützenfest drehte. „Das ist mein erfolgreichster“, schwärmt er von der Uraufführung im Kino. Immer noch werde er nach dem Zeitdokument gefragt, das selbst der Bürgermeister gern an Gäste verschenke.
Filmkopien sind kein Problem mehr, seit Rehling seine Schätze sämtlich digitalisiert hat: „Abgefilmt vom Zeichenkarton, das geht am besten.“ Zunächst auf VHS-Kassetten, jetzt natürlich auf der Festplatte, auf die Rehling direkt von einer seiner beiden Sony-Digitalkameras überspielt. Seine erste Nizzo, seinerzeit die beste Acht-Millimeter-Schmalfilmkamera auf dem Markt, hat er nur noch auf Fotos. Alle vier Minuten eine neue Filmkassette einzulegen, war schon etwas lästig.
In Moskau nur Fotos gemacht
Nicht alles, was er in seinem Leben gesehen hat, durfte auch das Kamera-Auge verfolgen. Als Rehling 1975 mit der ersten Wirtschafts-Delegation des Westens nach China einreiste, hätte das Filmgerät gestört. Damals ging es darum, neue Märkte für die Antriebstechnik seines Arbeitgebers Stromag in Unna zu erschließen. Ähnlich war es 1961 in Moskau: „Da konnte ich nur unauffällig nebenbei ein paar Dias machen.“ Die China-Bilder zeichnen im Vergleich mit Aufnahmen aus dem Jahre 2004 bei Vorträgen ein großes Spannungsfeld. Ein eigenes Kapitel sind die ersten Schritte Rehlings, von Kind auf ein begeisterter Foto-Amateur, mit den bewegten Bildern. Nachdem er im Zweiten Weltkrieg mit seinem Jagdflieger Dornier 217 abgestürzt war – eine polnische Zwangsarbeiterin und ein französischer Kriegsgefangener zogen ihn aus dem lodernden Wrack – musste der Pilot anderthalb Jahre lang in einem Lazarett in Bad Wiessee immer wieder Operationen über sich ergehen lassen.
In der Klinik hatte sich eine kleine Filmgruppe um einen Chefarzt geschart, der sich als guter Amateurfotograf erwies. „Mein Glück war, dass ein Bühnenbildner von Wienfilm dabei war“, erzählt Rehling. Von dem Experten lernte er in einem großen Kellerraum, der zum Atelier und Labor umfunktioniert war, alle Kniffe: „Wir haben tolle Serien gemacht.“ Der Schwerter, der damals noch ein Holzwickeder war, spezialisierte sich auf die Beleuchtung.
Seine Kenntnisse bewahrten Rehling davor, mit seinen offenen Operationswunden in ein US-Gefangenenlager auf der matschigen Wiese verlegt zu werden. Stattdessen entwickelte er im Armee-Labor private Negativstreifen, die von den amerikanischen Soldaten während ihres Feldzuges geknipst worden waren. Oft mit schockierenden Motiven wie von der Befreiung des KZ-Lagers Dachau. „Ich habe auch Mussolini an den Beinen aufgehängt gesehen, das Messer steckte im Kopf“, erzählt Rehling.
Lebensretter besucht
Seine beiden Lebensretter hat Rehling nach Kriegsende gesucht und gefunden. Sie waren ein glückliches Paar geworden in Frankreich, wo er sie bis zu ihrem Tod als Freunde besuchte. Da lebte er schon in Schwerte, wohin er vor 17 Jahren zog.
Nach einer Station in Villigst fühlt sich der Senior seit sieben Jahren im betreuten Wohnen am Haus am Stadtpark wohl. „Ich filme alles, was in diesem Haus passiert“, ist er sozusagen der Chronist der Einrichtung: „Vor zwei Wochen noch, als wir mit vier Bussen bei Bauer Ewald waren.“
Leider fällt nur das Laufen langsam etwas schwerer: „Als Filmer müsste man der schnellste sein.“ Vergeblich suchte Rehling bislang nach einem Nachfolger für diese Aufgabe: „Es wäre schön, wenn sich ein 68-Jähriger oder ein 70-Jähriger fände.“