Hagen. . Professor Helmut Wagner, international renommierter Volkswirtschaftler an der Fernuni Hagen, warnt vor neuen Maßnahmen der EZB mit bloßem Symbolcharakter. Laut Wagner heizt die EZB damit Spekulationen gegen den Euro an – und begünstigt die Sozialisierung von Verlusten der Großbanken.

Die jüngste Leitzinssenkung hat Verbraucher wie Finanzexperten aufgeschreckt. Nicht nur, dass Sparer nun seit Jahren quasi enteignet werden und Anlageberater verzweifeln. Auch Finanzexperten gehen davon aus, dass die Senkung keine Wachstumsimpulse für die Realwirtschaft bringen wird. Die Rede ist gar von der Abschaffung des Leitzinses. Er werde von der EZB im Sommerschlussverkauf angeboten, heißt es. Außerdem heize die Maßnahme in Deutschland lediglich die Preise von Immobilien und Wertpapieren an. Und Spekulanten setzten jetzt erst recht auf einen weiteren Kursverfall des Euros.

„Die Zinssenkung allein wird nicht viel bringen“ meint Prof. Helmut Wagner, Lehrstuhlinhaber für Volkswirtschaftslehre an der Fernuni Hagen. Seiner Meinung zufolge hat die Maßnahme Symbolcharakter, „um die Märkte zu beruhigen und das System zu stabilisieren.“ Die Frage sei, ob die Banken ihr Geld jetzt anders einsetzten als bisher.

Kein Einfluss auf Euro-Kurs

Auch der Euro-Kurs wird laut Wagner nicht von der Zinssenkung beeinflusst. Ausschlaggebend sei hier das Wachstum in den USA und die Diskrepanz zu „manchen dahinsiechenden Staaten in Europa.“ Das weltweite Signal, das vom Euroraum jetzt ausgehe, heiße: Wir brauchen die Zinssenkung, weil wir so schwach sind. Der Eurokurs könnte auf 1,20 Dollar fallen, schätzt der Professor. Dies biete viel Raum für Spekulanten, gegen die Gemeinschaftswährung zu wetten - umso mehr, je tiefer der Kurs falle. „Das heizt die Spekulation erst richtig an.“

Noch mehr Staub aufgewirbelt hat jedoch die quasi im Windschatten der Zinssenkung erfolgte gleichzeitige Ankündigung der EZB, von den Kreditinstituten mit Krediten besicherte Wertpapiere (ABS) sowie gedeckte Anleihen wie Pfandbriefe zu kaufen, damit diese noch mehr Anreize haben, Unternehmen Kredite zu geben. Daran mangelt es vor allem in Südeuropa. ABS etwa aber haben einen verheerenden Ruf, diese oft mit Hypothekenkrediten unterlegten Wertpapiere gelten als mitschuldig am Ausbruch der Weltfinanzkrise im Herbst 2008 in den USA.

Sozialisierung von Verlusten

Zuvor waren sie sehr beliebt. Forderungen wurden damit gebündelt und als Wertpapiere an Investoren weiterverkauft. Niemand wollte etwas über die Risiken wissen, und als die US-Immobilienblase platzte, rauschten die Papiere in den Keller. Damals kaufte die US-Notenbank massenweise ABS, um Geschäftsbanken zu entlasten. In der Folge wurden viele Kreditinstitute enteignet.

Auf diese Weise könnte die EZB zur Bad Bank des Eurolandes werden, vermuten Finanzexperten. Die Banken würden ihren Schrott gern bei ihr platzieren. Das bedeute eine Sozialisierung von Verlusten. Eine solche Politik ginge zu Lasten der Steuerzahler Europas, die für die Verluste der EZB aufkommen müssten, meint Ifo-Chef Prof. Hans-Werner Sinn. Die EZB sei gar nicht dazu befugt, weil es sich dabei um eine finanz- und keine geldpolitische Maßnahme handele. Die EZB ist schließlich laut Statut allein der Geldwertstabilität verpflichtet.

Aufgabe der EZB klären

Erst müsse geklärt werden, was genau die Aufgabe der EZB sei, widerspricht Prof. Wagner. Reine Geldpolitik oder mehr. Das könne man eng oder weit auslegen. „Die Öffentlichkeit erwartet, dass die EZB ihren Beitrag zum Finanzsystem leistet.“ Die EZB habe versucht, die eigentliche Begründung ihrer Maßnahmen nicht in den Vordergrund zu stellen, so der Professor. Und die laute, das Finanzsystem „so zu stabilisieren, dass nicht das europäische Währungssystem zusammenbricht.“

Ist die Lage also ernster als gedacht? „Der Aufkauf der Papiere ist nicht unproblematisch“, meint Wagner, die Risiken seien aber überschaubar, wenn die Überwachung durch die Bankenunion greife.

Ziel der EZB ist es jetzt seiner Ansicht nach, Zeit zu kaufen. „Man versucht, andere EU-Staaten dazu zu bewegen, auch etwas zu tun.“ Wagner vergleicht die Situation mit der eines Ebola-Patienten, der ungetestete Arzneien schluckt. Wenn eine hilft, war alles richtig. Eines sei klar: „Bei den Zinsen war dies der letzte Schuss der EZB.“