Die WM vereint die Menschen zwischen Siegen, Hagen und Arnsberg, Schwelm und Winterberg. Zwölf Reporter schreiben 120 Minuten mit.

Die Region im WM-Fieber. Bereits weit vor dem Anpfiff des WM-Endspiels zwischen Deutschland und Argentinien strömen die Fans beim Public Viewing, in Gaststätten und an anderen Orten zusammen. Wir haben die Menschen beobachtet, wie sie mit der Nationalelf bangen und eine rauschende Finalparty feiern. Das Minutenprotokoll des Triumphs.

1. Minute, Meschede: Anstoß unter lautem Jubel im Festzelt der Schützengemeinschaft Meschede-Nord. Hier wird eigentlich Schützenfest gefeiert, aber an das Vogelschießen am nächsten Tag denkt in diesem Moment keiner. Jetzt geht es um den Weltmeister-Titel für Deutschland. Die Zuschauer stehen dicht gedrängt und schauen das Spiel. Schützenuniformen sind mit Schwarz-Rot-Gold garniert. Bei einem Sieg wird das hier eine wilde Party. Das ist sicher.

9. Minute, Hallenberg: Der Autoscooter verwandelt sich in eine schwarz-rot-goldene Arena. Die Schützen haben sich vor der Leinwand formiert. Grün-Weiß zählt nicht mehr. Es sind die Farben der Nation, die sich heute Abend überall wiederfinden. Im Gesicht, als Kette um den Hals. Stefan und Natascha Stöber, sie ist gebürtige Niederländerin, sind froh, „dass kein Oranje mehr dabei ist“. So kann das Paar Jogis-Jungs unbekümmert zujubeln.

14. Minute, Wetter: In Wetter fiebern viele Gläubige in der Ruhrkirche (dort steht die Leinwand neben einem Kreuz) mit. In der 13. Minute fragt einer vom Organisationsteam, ob jemand eine Wurst will. Kopfschütteln, ignorieren - es ist keine Ablenkung vom spannenden Spiel erwünscht.

19. Minute, Arnsberg: Julia Qualitz und Henrik Leimeier verfolgen an der Kasse des Residenz-Kino-Centers das Spiel auf einem kleinen Röhrenfernseher. Zwischendurch verkaufen die beiden Süßigkeiten und Getränke. Zwischenbilanz: Bisher gingen 32 Eimer Popcorn und 37 Portionen Chips über die Theke.

24. Minute, Schwelm: Es wird zum ersten Mal lauter: Kollektives Aufstöhnen beim Public Viewing im neuen Veranstaltungszentrum der Sparkasse in Schwelm. Auf zwei Groß-Leinwänden ist der katastrophale Fehlpass von Toni Kroos in der 21. Minute krass zu sehen. Landrat Arnim Brux - er ist im Deutschland-Trikot aus dem Jahr 2006 mit schon aufgestecktem vierten Weltmeister-Stern erschienen - wird eine Spur bleicher. Die Zuschauer halten den Atem an. Ein Seufzer der Erleichterung, als die Argentinier die Chance frei vor Manuel Neuer verschludern. Die Zuversicht schwindet ein wenig.

29. Minute, Warstein: Als Schweinsteiger die gelbe Karte kassiert, geht ein Raunen durch die volle Sauerlandhalle. Die Anspannung ist den Menschen ins Gesicht geschrieben. Manchen mögen kaum noch hinschauen. Wo bleibt das befreiende Tor?

35. Minute, Kirchhundem: Zittern mit der deutschen Mannschaft beim Public Viewing in Rahrbach. Der Schreck vom Abseitstor der Argentinier und der großen Chance von Higuain nach dem Lapsus von Kroos sitzt den deutschen Fans noch in den Knochen. Aber plötzlich brandet Jubel auf: Müller auf Schürrle. Doch Argentiniens Torhüter hält den Ball. Dazu stand Özil auch noch im Abseits. Die Damen freuen sich zu früh. Die Arme sinken wieder langsam nach unten. Es bleibt dabei: bangen, bangen.

40. Minute, Menden: Am Eingang zur Public-Viewing-Arena unterm Rathaus-Zeltdach warten Dennis und seine Kumpels immer noch darauf, reingelassen zu werden. Genau 1000 Leute dürfen hinein, genau 1000 sind drin. „Die Kneipen sind zu voll, außerdem ist die Stimmung hier top“, begründet Dennis, dass er das Finale seit ungefähr 20 Minuten nur an den Reaktionen des Publikums drinnen ablesen kann. Aber er bleibt Optimist: „Zur Halbzeit kommen wir rein!“

45. Minute, Siegen: Das Rudelgucken zwischen den Kneipen der Alten Poststraße ist improvisiert. Zelte wurden aufgebaut, um Publikum und Flachfernseher vor Regen zu schützen. Weil jeder Wirt das Spiel selbst zeigt, hallt Kommentator Tom Bartels leicht zeitversetzt durch die enge Gasse: „Schweinsteiger-ger, Messi-si“. Der Jubel über das 1:0 kommt gleichzeitig, die Enttäuschung ebenso: Das war gar keins. Nur Pfosten. Halbzeit.

49. Minute, Iserlohn: In einer griechischen Kneipe an der alten Stadtmauer trennt sich langsam die Spreu vom Weizen. Ein großer Teil der Gäste verständigt sich mit Grunzen und spitzen Schreien. Wenn das so weitergeht, droht der Untergang der Menschheit oder das 1:0 für Argentinien.

54. Minute, Hagen: Selbst für einen Philipp Lahm gibt es bei Hagens größtem Public Viewing keinen Platz mehr. 800 Zuschauer haben sich in der Eilper Trafo-Halle versammelt. Eine Halle, in der sich die Tore für das Publikum bereits um 19.45 Uhr geschlossen hatten. Von der anfänglichen Gelassenheit ist längst nichts mehr zu spüren.

56. Minute, Bad Berleburg: Die 56. Spielminute hat gerade begonnen. Angespanntes und mitfieberndes Publikum beherrscht den Raum. Als Manuel Neuer nach einem heftigen Zweikampf zu Boden geht, herrscht Totenstille im Lutherhaus. Alle warten gespannt auf das erste Tor von Deutschland und hoffen das Beste!

61. Minute, Warstein: Ein Raunen geht durch den Keller, als Özil die deutsche Führung verstolpert. Der erste Aufreger seit langer, langer Zeit. Langsam werden die Kinderaugen aber kleiner. Hoffentlich keine Verlängerung mögen die Kleinen denken... Oder? Jede gelbe Karte für Argentinien wird bejubelt.

66. Minute, Arnsberg: Vor der Eisdiele von Mirco Cais steigt die Stimmung. Die Leinwand steht vor der Tür. In Mircos Brust schlägt das Herz für Italien und Deutschland. An diesem Sonntag natürlich für die deutsche Mannschaft: „Ich drücke wie verrückt die Daumen. Vielleicht klappt es heute.“

72. Minute, Hagen: Wer keinen Platz in der Trafohalle gefunden hat, ist auf das Elbers Freizeitgelände gepilgert. Alle Tische sind besetzt. Die Spannung steigt mit jeder Minute. Unerträglich angesichts der Chancen auf beiden Seiten. Selbst in den Strandkörben vor der Leinwand knistert es.

78. Minute, Meschede: Hier ist wieder Meschede, dieses Mal die „St.-Georgs-Arena“, so heißt die Schützenhalle im Süden der Stadt seit dem Beginn der WM. Es ist das große Rudelgucken im Stadtgebiet. Die Chancen der Deutschen machen Hoffnung.

85. Minute, Siegen: Die Nervosität des Spiels packt die Siegener. Längst nicht mehr jeder mag hinschauen, die Spannung wird minütlich greifbarer. „Das gibt ‘nen 0:0“, meint einer und nimmt einen Schluck aus dem Pilsglas.

90. Minute, Hallenberg: Der Abpfiff in Rio lässt auf sich warten, das Hallenberger Schützenfest geht in die Verlängerung! Annika Siepe hat auf jeden Fall schon gewonnen: „Schützenkönigin sein und dazu das WM-Finale – diesen Tag werde ich nie vergessen.“ Das Zittern geht weiter.

95. Minute, Meschede: Vier Jungs trommeln unermüdlich auf Pauken, peitschen sie Deutschland zum Titel?

102. Minute, Hemer: Alles bangt. Niemand geht nach Hause. Alle stehen wie angenagelt.

113. Minute, Menden: Tor für Deutschland. Mario Gööötze! Mit links. Unglaublich. Am neuen Rathaus rast die Menge.

120. Minute, überall: Jaaaa. Wir sind Weltmeister. Ein Traum.