Hagen. Als Rotkreuzleiter in Vorhalle ist Christian Fricke vielen bekannt. Und auch als Übergewichtiger. 220 Kilogramm hat er zu Spitzenzeiten gewogen, doch jetzt krempelt er sein Leben um. Operativ hat er sich den Magen verkleinern lassen und schon 40 Kilo angenommen. Nun startet er eine Selbsthilfegruppe.
Er hat noch einen langen Weg vor sich, doch eine Riesen-Etappe liegt auch schon hinter ihm: Christian Fricke hat seit April gut 40 Kilogramm abgenommen – von vormals 220 Kilo. Vor allem mit Hilfe eines operativen Eingriffs. Jetzt will er anderen Mut machen und hat unter dem Dach des Rot-Kreuz-Ortsvereins in Vorhalle eine Adipositas-Selbsthilfegruppe ins Leben gerufen. Am morgigen Sonntag ist das erste Treffen, das Interesse im Vorfeld ist schon sehr groß.
Christian Fricke wird viel von seinen Erfahrungen einbringen können. Dann wird er von seinem Leben berichten, zu dem schon immer das Übergewicht gehörte. Aber auch von dem Entschluss, nun mit 28 Jahren das Leben umzukrempeln und radikal gegen die vielen überflüssigen Kilos zu kämpfen.
„Ich habe viel zu viel von dem Falschen gegessen und mich viel zu wenig bewegt. Bei mir gab es eigentlich eine ständige Nahrungszufuhr“, sagt der Boeler und versucht erst gar nicht, die Verantwortung für sein erhebliches Übergewicht irgend jemand anderem zuzuschieben. Dick sei er schon immer gewesen, aber in der Pubertät sei das Übergewicht immer größer geworden.
Dabei war es lange nicht so, dass Fricke wirklich gelitten hätte. „Ich war gesellschaftlich voll akzeptiert, bin hier in Vorhalle Rotkreuzleiter und auch beruflich ist es lange gut gelaufen. Meine Arbeitgeber hatten einen dicken Mitarbeiter gerne, auf den konnten sie sich verlassen.“
Christian Fricke ist gelernter Einzelhandelskaufmann, arbeitet später aber als Privat- und Wirtschaftsdetektiv. Trotz junger Jahre übernimmt er schnell eine leitende Position in dem Unternehmen. Doch als die Detektei in finanzielle Schieflage gerät und immer mehr Mitarbeiter sich mit ihren Sorgen an ihn als Vorgesetzten wenden, da reagiert Fricke so, wie er es stets unter Stress getan hat: Er isst noch mehr. „20 Kilogramm habe ich in dieser Phase noch einmal zugenommen.“
Die Firma muss schließlich Insolvenz anmelden, Christian Fricke wird arbeitslos. Ein Schlag für ihn, aber auch ein Weckruf, denn der 28-Jährige beschließt: „Jetzt geht erst einmal meine Gesundheit vor.“ Auf 220 Kilogramm bei 1,85 Meter Körpergröße ist sein Gewicht inzwischen gestiegen. Der absolute Höchststand ist nicht mehr allein ein ästhetisches Problem, sondern ein gesundheitliches. Christian Fricke merkt, wie sein Körper immer mehr angegriffen wird, wie er unter Schlafstörungen leidet.
Er will abnehmen, versucht alles mögliche: Einfach weniger essen, Weight Watchers, Selbsthilfegruppen, sogar eine Suchtberatung besucht er. Doch er muss sich eingestehen, dass dies alles nicht hilft. Der Boeler entschließt sich zu einem tiefgreifenden Eingriff: Er will sich den Magen verkleinern lassen. Die Krankenkasse – er ist gesetzlich bei der IKK versichert – zieht mit. Und auch die übliche Wartezeit wird bei Fricke verkürzt. Aus einem traurigen. Grund: Sein Bodymass-Index ist inzwischen so hoch, dass es quasi ein „beschleunigtes Verfahren“ gibt.
Todesangst vor der Operation
Ein halbes Jahr nach dem definitiven Entschluss, sich operieren lassen zu wollen, kommt er im April diesen Jahres in das Klinikum Vest in Recklinghausen, die als Adipositas-Zentrum spezialisiert ist. Zuvor muss er aber sich ganz streng an Vorgaben halten. Die Voraussetzung für die OP: Keine weitere Gewichtszunahme, Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe, Ernährungsberatung und Ernährungsprotokolle. Fricke hält durch, aber in ihm wird die Angst größer, die Angst vor der Operation. Sie steigert sich zu einer Todesangst. Rational begründet ist sie nicht, die Statistik weist nur wenige Komplikationen auf. Doch der 28-Jährige macht noch einmal viele Dinge, die er mag, weil er denkt, es könnte das letzte Mal sein.
Als er Anfang April in Recklinghausen in die Klinik geht, darf er zunächst 14 Tage lang nur flüssige Nahrung zu sich nehmen. Er verliert schon 15,5 Kilogramm. Bemerkt man den Verlust überhaupt bei 220 Kilogramm Körpergewicht? „Ja“, sagt Fricke. „Ich hatte mich da schon viel agiler gefühlt.“
Dann kommt die Operation, bei der sein Magen von 1,6 Liter Volumen auf nur noch 100 Milliliter verkleinert wird. Es ist eine radikalere Operation als ein Magenband, denn das Organ wird dauerhaft verkleinert. Christian Fricke ist ehrlich: „Die ersten Tage nach der OP waren schrecklich.“
Dann wird es immer besser. Langsam wird Christian Frickes Körper wieder an normale Nahrung gewöhnt, allerdings an erheblich weniger. Das Sättigungsgefühl setzt nun viel früher ein. „Nach einem halben Toast zum Frühstück bin ich pappsatt.“ Die Kilos purzeln nur so. Ein Vierteljahr nach der OP sind nun 40 Kilo verschwunden.
Das psychische Verlangen bleibt
Christian Fricke genießt es, dass es den Menschen auffällt, dass er viel Zuspruch bekommt. Aber er weiß auch: „Der Kopf ist nicht mit operiert worden. Hier muss ich auch dran arbeiten.“ Sprich: Das Sättigungsgefühl ist das eine, das psychische Verlangen nach Essen und oft genug auch nach ungesundem Essen ist noch da. Daran arbeitet der 28-Jährige weiter, dabei soll auch die neue Selbsthilfegruppe helfen.
Sein Leben hat sich auf jeden Fall gewandelt: Christian Fricke hat sich ein Fahrrad gekauft, geht schwimmen. Ja, ab und an gönnt er sich auch Chips. „Aber eine Hand voll. Früher habe ich mal eben eine Tüte gegessen – und eine Flasche Cola dazu. Und er hat ein Ziel : Bis Jahresende will er auf 150 Kilogramm runter sein, danach 120 Kilogramm erreichen – und damit 100 Kilo weniger als zu seinen Spitzenzeiten. Und er sucht einen neuen Job, denn dafür fühlt er sich schon jetzt fit.