Hagen.. Das Theater Hagen zeigt Massenets Oper „Don Quichotte“ in einer wunderbaren Inszenierung. Rosinante besteht aus Rädchen, und Dulcinea befreit sich vom Kurtisanen-Korsett. Das Publikum jubelt im Stehen.
Man spricht ja nicht umsonst von Horchlöffeln: Die treue Rosinante jedenfalls hat Schuhanzieher als Ohren, und Sancho Pansas Esel ist ein rostiger Einkaufswagen. In der Weltliteratur reitet Don Quichotte als traurige Figur daher. Das Theater Hagen macht den Helden jetzt zum Ritter von der langen Gestalt und verwandelt Massenets relativ unbekannte gleichnamige Oper in einen Theatererfolg ersten Ranges.
Hier stimmt einfach alles: Das Zusammenspiel von Musik und bildstarker Inszenierung, die überbordende Vielzahl liebevoller Details und dazu ein komplett hauseigenes Ensemble, das sich von Herzen in die schwierige Aufgabe wirft. Kein Wunder, dass das Premierenpublikum die Produktion zutiefst berührt mit langem Beifall im Stehen feiert.
Ein Kampf gegen Windmühlen
Don Quichotte kämpft gegen Windmühlen – und zwar im Orchester. Massenets Vertonung der berühmten Szene hat Regisseur Gregor Horres und den großartigen Hagener Bühnenbildner Jan Bammes zu ihrem optisch überwältigenden Inszenierungskonzept angeregt. Sie übersetzen die Musik, die ihrerseits das Rotieren der Windmühlenflügel aufgreift, in ein visuelles Räderwerk moderner Zeiten – Charlie Chaplin lässt grüßen.
Und damit erzählt sich die Geschichte praktisch wie von selbst: Dulcinea und ihre gehässigen Verehrer laufen in der Spur. Don Quichotte hingegen reitet zwar auf einem mechanischen Pferd, das ebenfalls aus lauter Rädern zusammengeschmiedet ist. Der Held ist aber derjenige, der in dieser Maschinerie nicht funktioniert, bei dem sozusagen ein Rädchen klemmt. Halb komischer Heiliger im Apostelgewand und halb verkrachte Existenz kämpft er für Ideale, die längst im Getriebe der Moderne verschlissen wurden.
Es ist riskant, einen Don Quichotte zu inszenieren, weil die Handlung eine sensible Gratwanderung zwischen dem Absurden und dem Poetischen verlangt. Regisseur Gregor Horres hört zuallererst auf Massenets Partitur und interpretiert die Oper damit als gelungene Mischung aus Schelmenstück und Passion.
Kein Scheinriese
Erinnert sich noch jemand an Herrn Tur Tur, den Scheinriesen aus „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“? Genauso sieht Orlando Mason als Don Quichotte aus: ein scheuer, herzensguter Weltverbesserer, dessen klapperdürre Lauflänge von 2,08 Metern ihn auch ohne sein exzentrisches Verhalten der Lächerlichkeit preisgäbe. Doch wenn der britische Sänger mit seinem lyrischen Bass die angebetete Dulcinea umwirbt, wenn er unter die Räuber gefallen sein letztes Gebet anstimmt und wenn er schließlich sterbend die Fähigkeit zum Träumen als sein Vermächtnis hinterlässt, ist es mucksmäuschenstill im Publikum, denn dann entsteht eine Wahrhaftigkeit, die zu Tränen rührt.
Man muss lange suchen, um ein Bühnen-Paar zu finden, das besser zueinander passt als Orlando Masons Don Quichotte und Rainer Zaun als Sancho Pansa. Der Bassbariton Zaun erdet die Luftschlösser seines Herrn, indem er Bierkasten und Werkzeugkiste stets auf seinem rollenden Esel parat hat. Zaun schafft es, den tragischen Heroismus des fahrenden Ritters stimmlich und darstellerisch immer mit genau den Gefühlen von Verwunderung und Mitgefühl zu spiegeln, die dem Normalbürger klar machen, dass es sich hier nicht um einen Penner, sondern um einen Idealisten handelt.
Massenets letzte Oper, 1910 uraufgeführt, fällt mit der Tür direkt ins Haus. Spanische Stierkampfklänge ertönen, wenn sich die Halbwelt in Dulcineas Umkreis vorstellt. Wir befinden uns vom ersten Takt an in einer Art Arena, einer Theater-im-Theater-Situation, genauer gesagt: im schäbigen Hinterhof eines Etablissements. Pedro, Garcias, Rodriguez, Juan und ihre Kollegen vom Opernchor, dazu Marilyn Bennett als Räuberhauptmann, wirken wie schräge Figuren aus Tim-Burton-Filmen und nutzen die tragischen Phantasien des riesigen Ritters und seines Knappen zu ihrer Belustigung, sie machen daraus eine Art Reality-Drama.
Dienst-Korsett der Kurtisane
Massenet hat seiner Dulcinea kapriziöse Koloraturen in die Kehle geschrieben. Kristine Larissa Funkhauser zeigt schön, wie sich das Zickige zu echter Emotion emanzipiert; sie befreit sich in gefühlvollen Bögen gleichzeitig von ihrem Kurtisanen-Dienst-Korsett.
Man kennt den Komponisten Jules Massenet eigentlich viel zu wenig. Der Hagener Generalmusikdirektor Florian Ludwig ist ein leidenschaftlicher Anwalt seiner Musik, er lässt die Hagener Philharmoniker wie im Klangrausch aufblühen und verblendet die unterschiedlichen musikalischen Charaktere delikat miteinander. Das Orchester klingt niemals grell, es leuchtet und schimmert stattdessen in geheimnisvollen opaken Farben und glänzt mit delikaten Soli der Bläser und des Cellos.
Wieder am 2., 7., 11., 18., 23., 28. Mai. Karten: 02331 / 2073218 oder www.theaterhagen.de