Hagen-Mitte. .

Dieser Bau ist ein Teil der Geschichte, die er ab dem 18. Mai erzählt. Die Fassade, das Innere, der historische Teil des Osthaus-Museums sind selbst Exponat einer Ausstellung, die das Gebäude beherbergt. Könnte es einen besseren Ort geben als jenen Bau, den der Hagener Kunstmäzen 1902 eröffnete? Als erstes Museum für zeitgenössische Kunst weltweit. Es steht für den Aufschwung einer Stadt, für eine Blüte, wie sie Hagen nie wieder erlebt hat. Und gleichzeitig für den Niedergang einer Großstadt in Westfalen.

Das Konzept

„Weltenbrand – Hagen 1914“ – das ist der Titel der Ausstellung, die einen einzigartigen Ansatz in der langen Reihe der Ausstellungen zum Ersten Weltkrieg verfolgt. „Weltenbrand – Hagen 1914“ will Kunst und Historie miteinander verzahnen. Neuland. Möglich wohl nur, weil der Fachbereich in neuen Strukturen organisiert wird. „Das ist auch für uns spannend“, sagt Dr. Birgit Schulte, die gemeinsam mit Dr. Ralf Blank die Ausstellung konzipiert. Schulte den künstlerischen Teil, Blank den historischen. Und irgendwie beide beides. Weil sich das Eine vom Anderen nicht trennen lässt. Zumindest nicht in dieser Stadt. „Wir wollen die verschiedenen Sammlungen miteinander ins Gespräch bringen“, so Schulte mit Blick darauf, dass die Exponate zu rund 90 Prozent aus dem eigenen Bestand des Osthaus-Museums sowie des Stadtmuseums und Stadtarchivs stammen.

Die Vorkriegsjahre

„Um die Jahrhundertwende ging es in Hagen steil bergauf“, sagt Dr. Ralf Blank, „wirtschaftlich und kulturell.“ Vom Flottenbau und der Heeresrüstung profitierten Unternehmen wie die Hasper Hütte und die Accumulatoren Fabrik in Wehringhausen, die noch im Sommer 1914 Batteriekästen sogar für britische U-Boote lieferte. „Gerade die Elektrotechnik“, so Blank weiter, „war damals ein florierender Wirtschaftszweig. Die Accu in Hagen war weltweit vernetzt. Geschäftsleute aus aller Herren Länder fanden den Weg nach Hagen.“

Es wird gebaut in der Stadt. Gebäude wie das Rathaus, der Hauptbahnhof, das Theater, das Folkwang-Museum (heute Osthaus-Museum) oder die Stadthalle auf der Springe entstehen. „Das Viertel rund um die Johanniskirche verlor seinen eher dörflichen Charakter mit den engen Gassen. Das moderne Berlin mit seiner weitläufigen Architektur wurde zum Vorbild für aufstrebende Städte wie Hagen“, sagt Blank, „ohne diese Ausbauphase wäre das Stadtbild von Hagen wohl eher kleinstädtisch geblieben.“

Der prägende Kopf

Einer der prägenden Köpfe dieser Zeit war ein Mann namens Karl-Ernst Osthaus, 1874 als Sohn eines Bankiers und einer Industriellentochter geboren. „Er war es, der Künstler wie Christian Rohlfs oder Milly Steger nach Hagen holte“, sagt Dr. Birgit Schulte, „Rohlfs hat hier gelebt und in seinem Atelier im Museum gearbeitet.“ Osthaus engagierte international anerkannte Architekten wie den Belgier Henry van de Velde, der unter anderem den Hohenhof erbaute. „Die mittelgroße Stadt an der Volme strahlte nicht nur weit in das Umland, sondern auch über die Grenzen des wilhelminischen Kaiserreiches hinaus“, stellt ihr Kollege Dr. Blank fest.

Der Einschnitt

Der August 1914 war eine tiefe Zäsur. Für die Wirtschaft, für die Kultur, für die ganze Stadt und ihre Bevölkerung. „Van de Velde musste als Belgier schließlich in die Schweiz emi­grieren. Osthaus hat bei Kriegsausbruch das Folkwang-Museum geschlossen“, sagt Dr. Birgit Schulte, „er hat die Kunstsammlung in die Keller-Depots bringen lassen. Er wollte das Gebäude als Reserve-Lazarett anbieten.“

Erst als sich herausstellte, dass das nicht notwendig war, ließ er die Werke wieder hoch holen. Die Besucherzahlen aber sanken rapide. „Die Menschen hatten ganz andere Probleme“, sagt Birgit Schulte, „ihnen stand nicht der Sinn nach einem Museumsbesuch.“ Daraufhin stellte Osthaus das Konzept um. Er nahm das Thema Krieg, das die Menschen in diesen Tagen bewegte, auf. „Skizzen aus dem Felde“ lautet der Titel einer Ausstellung, die er zeigte. Eine andere eröffnete er in Erinnerung an den Künstler Walther Bötticher, der im Krieg gefallen war.

Der Künstler

Christian Rohlfs, der wegen eines Holzbeins und seines Alters als kriegsuntauglich eingestuft worden war, verkauft mit Ausbruch des Krieges durchaus weiter seine Werke. Neue aber entstehen nicht. „Er sah sich zunächst außer Stande zu arbeiten“, sagt Birgit Schulte, „in seinem Atelier hatte er eine Karte auf eine Leinwand aufgezogen und verfolgte den Verlauf der Front.“ Erst als Rohlfs beginnt, den Krieg in seinen Bildern zum Thema zu machen, löst das seine kreative Blockade.

Die Wirtschaft

Auch die Wirtschaft leidet unter dem Kriegsausbruch. „Vielen Hagener Industriellen kam der Krieg ungelegen“, so Dr. Ralf Blank, „das galt insbesondere für die Accumulatoren Fabrik. Es wurden zwar auch im Krieg U-Boot-Batterien repariert und gebaut, sogar in sehr großer Zahl für die kaiserliche Marine, weil das Unternehmen aber international agierte, kamen viele Geschäftsbeziehungen zum Erliegen.“

Der Mythos

Am 6. August marschierten die ersten Soldaten aus der Stadt aus. „Der Mythos des Augusterlebnis hält sich auch in Hagen“, sagt Blank mit Blick auf die jubelnden Menschenmassen, die die Truppen verabschiedeten, „es gab mit Sicherheit extrem patriotische Kreise. Aber es gab auch die anderen, die den anbrechenden Krieg kritisch sahen. Gewichten lässt sich das 100 Jahre nach dem Ausbruch der Ersten Weltkriegs im Nachhinein nicht mehr. Aber ein großer Teil der Bevölkerung bestand aus einfachen Fabrikarbeitern. Die SPD hatte schon in der Juni-Krise eine Veranstaltung gegen den Krieg organisiert. Immerhin hatte Hagen in jenen Tagen den ersten sozialdemokratischen Abgeordneten in den Reichstag geschickt.“

Die anfängliche Euphorie verschwand, als klar wurde, dass der versprochenen schnelle Sieg auf sich warten ließ. „Die Berichte in den Zeitungen waren zweifellos schöngefärbt“, sagt Blank, „aber die Briefe, die von den Soldaten an der Front kamen, enthielten die Wahrheit über die Grausamkeit des Kriegsalltags. Wer zu jener Zeit wollte, war sehr wohl gut informiert über den Verlauf und die grausamen Umstände des Krieges.“

Die soziale Lage

Die soziale Lage an der Heimatfront verschärfte sich mit jedem Kriegstag. Die Lebensmittel wurden knapp, Rohstoffe streng rationalisiert. Die Hagener litten an Hunger, oft fehlten tagelang Wasser, Strom und Gas, weil die Versorgungsunternehmen wegen Kohlenmangel nicht liefern konnten. Seit dem Winter 1916/17 mehrten sich Proteste und Streiks unter der Bevölkerung und den Industriearbeitern. In der Hagener Industrie mussten auch zahlreiche Kriegsgefangene sowie auch zur Zwangsarbeit verpflichtete Zivilisten aus Belgien und Polen arbeiten.

Auch viele Frauen, ältere Menschen und bislang als „unabkömmlich“ eingestufte Personen wurden ab 1916 vermehrt zum Kriegsdienst herangezogen. Darunter war auch Karl-Ernst Osthaus. Im September 1916 wurde der damals 42-Jährige einberufen. Und schon in einem Ausbildungslager in Krefeld, in dem er mit 200 anderen in einer Baracke untergebracht war, zog er sich die Krankheit zu, an der er am 25. März 1921 in Meran starb.

Osthaus und die Krise

„Es gibt nahezu täglich Feldpostbriefe von Osthaus“, sagt Schulte, „er, der große Ästhet, beschreibt darin, wie er Schlamm schleppen und Schützengräben ausheben muss. Er berichtet immer wieder von seiner Sehnsucht nach dem Hohenhof.“

Die Krise der Weimarer Republik traf auch Osthaus. „Zwar wurde niemand gezwungen, aber auch Osthaus hatte Kriegsanleihen zeichnen müssen“, sagt Blank. „Es existierte ein großer gesellschaftlicher und moralischer Druck. Insbesondere von Vermögenden wurde erwartet, dass sie das Deutsche Reich und den Kaiser im Krieg unterstützten.“

Hinzu kamen Kredite, die Osthaus aufgenommen hatte, um das von ihm ins Leben gerufene Deutsche Museum für Kunst in Handel und Gewerbe zu finanzieren, die er nicht mehr bedienen konnte. Er sah sich gezwungen, Kunst zu verkaufen.

Kriegt wirkt bis heute

„Dieses sogenannte Folkwang-Trauma wirkt nach bis in unsere Zeit“, sagt Birgit Schulte mit Blick auf die Diskussionen um den Neubau des Schumacher-Museums. „Und die Frage nach dem Sinn des Todes von fast 10 000 Soldaten aus Hagen, Haspe und Hohenlimburg kommt gerade 100 Jahre nach Kriegsbeginn auf“, meint ihr Kollege Dr. Ralf Blank.