Breckerfeld. .
Wenn es einer Komödie gelingt, das Publikum mit gut platzierten Gags zum Lachen zu bringen und zugleich passagenweise zu selbstreflektierender Nachdenklichkeit anregt, dann haben sowohl Drehbuchautor als auch Darsteller alles richtig gemacht. So geschehen am Freitagabend bei der fulminanten Premiere des Breckerfelder Bürgertheaters (mehr Fotos hier).
„Born to be wild – Wenn 68er 68 sind“ heißt das Schauspiel, das Theaterprofi Werner Hahn dem elfköpfigen Ensemble auf den Leib geschrieben hat. Seit drei Jahren arbeitet der populäre Bühnenkünstler, Drehbuchautor und Regisseur des Hagener Theaters mit den Breckerfelder Laienakteuren zusammen: „Da weiß man schon beim Skizzieren der Handlung, in wem welche Eigenschaften einer Rolle schlummern.“
Bei den sechsmonatigen Proben sei es ihm darum gegangen, die Darsteller in einen Prozess zu führen, an dessen Ende sie mit ihrer fiktiven Figur verschmelzen. „Manchmal aber hat man als Autor etwas im Kopf, was auf der Bühne nicht funktioniert“, so Hahn. Daher würden noch bis zur Generalprobe laufend Änderungen vorgenommen.
Neues Terrain
Nach den beiden erfolgreichen Inszenierungen „Der Hund muss weg“ und „Gestatten: Müller“ wagt sich die Theatertruppe nun mit „Born to be wild“ auf neues Terrain: sie spielt nicht nur, sie singt auch selbst.
Zum Auftakt sieht man Heike Rosengarth-Urban in der Rolle der Christa Gärtner, genannt Billy. Die Kulisse im Martin-Luther-Haus stellt ihr Elternhaus dar, in der sie 1968 ihre wilde Jugend ausgelebt hat und das nun einem Kreisverkehr weichen soll. Rasch wandelt sich ihr Wehmut in Trotz und kurzerhand organisiert Billy eine Abrissparty, zu der sie ehemalige Weggefährten einlädt. Doch war die gemeinsame Jugend von Studentenprotesten, Frauenbewegung und Aufbegehren gegen jegliche Autorität geprägt, so treffen die ehemals Gleichgesinnten nun in einer Lebensphase aufeinander, in der sie sich mit dem Älterwerden, ihrer familiären und sozialen Stellung auseinandersetzen müssen. Und damit öffnet sich die Tür für manchmal herrlich alberne, teils subtile, meist aber ironisch-augenzwinkernde Gags, ohne dass die Akteure ins Klamaukhafte abdriften.
Wie Werner Frühauf, der in diesem Stück den gutmütigen den „Spießer“ Horst gibt, um (körperliche) Liebe und Anerkennung bettelt oder Heike Breer mimikstark als Gertrud ihren unverwirklichten Lebensträumen nachtrauert, verleitet dies zu herzhaftem Lachen. Wenn „Mehrfach-Aufsichtsratsvorsitzende“ Gabi (glaubhaft als taffe Karrierefrau: Marion Spannagel) ihre einstigen Ideale reflektiert oder von der esoterisch angehauchten Elfie (Inge Schalk) auf deren „Verrat“ hingewiesen wird, geschieht das in solch trockenem Tonfall, als führten sie ein reales Zwiegespräch.
Ebenso nimmt man Christa Hackler, ausstaffiert mit Hippie-Garderobe, die Sexualtherapeutin Jutta ab, Hannelore Reibert die politisch realistische, familiär aber viel zu gutgläubige Oma zweier „Enkel mit Internet-Smartphone“ ab.
Abneigung gegen Autoritäten
Klaus Sommer überzeugt als Pflastersteine werfender Revoluzzer, der seine Abneigung gegen Autoritäten noch immer lautstark vertritt, wohingegen Johannes Kaiser bzw. sein Bühnenpendant Dr. Schmitz als Polizeipsychologe „die Seiten gewechselt“ hat. Wenn aber Ruth Bornemann mit ihrer augenscheinlich angeborenen Bühnenpräsenz als Entwicklungshelferin Irene über ihre Vergangenheit in einem israelischen Kibbuz spricht, das Thema Afghanistan-Krieg in den Raum wirft, dann gelingt es dieser Komödie, das Publikum auch mit nachdenklichen, leisen Tönen zu packen. Ebenso wenn Bernhild Stamnitz-Walther alias Lisa sinniert: „Ich möchte selbstbestimmt leben und lieben, in Würde altern – und würdevoll sterben.“
Das gemeinschaftliche Aufarbeiten verpasster Chancen und das Wiederaufkeimen verlernter Auflehnung in Form einer kurz entschlossenen Hausbesetzung unterstreicht das Bürgertheater-Ensemble mit musikalischen Einlagen, die vom Premierenpublikum jubelnd aufgenommen wurden.
Das mag daran liegen, dass Regisseur Werner Hahn auf bekannte 68er Hits wie „San Francisco“ oder „Country Roads“ setzt, die den Saal am Freitag zum mitsummen und mitsingen animierten.
Es ist aber auch die Souveränität, mit der die Akteure im zweiten Akt mit „Sag mir, wo die Blumen sind“ das in diesem Schauspiel zirkulierende Thema auch gesanglich auf den Punkt bringen: Was ist aus den Idealen der 68er-Generation geworden? Aus dem Streben nach Freiheit, Frieden und Selbstbestimmtheit?
Es ist der gelungene Balanceakt zwischen Humor und Melancholie, zwischen Klischee und Realität, der Hahns Komödie zu einem kurzweiligen Theaterstück macht.
Die Akteure sind mit „Born to be wild“ an einen Punkt angelangt, an dem sie ihr Publikum nicht allein durch pointierte Dialoge unterhalten, sondern mit intensivem Spiel und einer glaubhaften Verschmelzung von Person und Rolle.
Und spätestens mit diesem dritten Stück dürfte das Bürgertheater aus dem kulturellen Leben der Hansestadt nicht mehr wegzudenken sein.