Hagen. .

Es ist ein Blick, den er nur ganz selten in all den Jahren genossen hat. Es scheint, als habe ein Maler ein wunderbares Gemälde auf diese Leinwand aufgetragen. Der kühle Januartag schenkt diesem Kunstwerk seine Farben. Blau der Himmel. Rot der Zug, der gerade einige Kilometer Luftlinie entfernt den Hagener Hauptbahnhof verlässt. Braun das höchste Gebäude der Stadt, das sich fast anschickt, an ein paar Wolken zu kratzen.

Viele der Gebäude, die das Gemälde nachzeichnet, verlieren ihren Charme, wenn man sich ihnen nähert. Aus dieser Ferne nur ein paar Meter unterhalb des Eugen-Richter-Turms wirken sie wie gemalt.

Mitten in dieses farbenfrohe Wintergemälde hat der Künstler eine Kirche gesetzt. Es ist die der Gemeinde St. Josef in Altenhagen. Die, die für Dechant Dieter Osthus in all den Hagener Jahren zu so etwas wie seiner Heimat geworden ist. „Zwölfeinhalb Jahre“, sagt er, „so lange war ich noch nie an einem Ort.“

Wir sind ein Stück dieses Hagener Weges gemeinsam gegangen. Er, der Dechant, der Geistliche, der anfangs nicht immer glücklich war, wenn nicht jedes seiner mahnenden Worte den Weg in die Zeitung fand. Und ich, der Journalist, der über die Stadt schreibt, in der er predigt und sich so unermüdlich für Ökumene, den Dialog zwischen den Religionen und für soziale Gerechtigkeit einsetzt.

Der gemeinsame Weg ist nicht vorbei. Auch wenn der Weg Dieter Osthus ans andere Ende der Welt führt. Nach Cape Town, wie er sagt. Nach Kapstadt in Südafrika. Es gibt aber digitale Wege, die helfen, einen Weg gemeinsam zu gehen, auch wenn man Tausende Kilometer voneinander getrennt ist. Der Dechant hat ein eigenes Facebookprofil.

Der Hagener Weg endet für den Dechanten offiziell am 16. Februar. Dann wird er in der Kirche, die der Künstler in die Mitte seines Bildes gesetzt hat, offiziell verabschiedet. Unseren gemeinsamen Hagener Weg beschließen wir ein bisschen eher. Wir spazieren über den Drei-Türme-Weg.

„Ich bin ja ein alter Mann, nur äußerlich noch jung“, sagt der Dechant, als wir den ersten Anstieg erklimmen und den kleinen Eisschollen auf der asphaltierten Straße ausweichen. Er sagt es und muss im selben Moment über sich selber grinsen. „Ich werde 64 Jahre alt in diesem Jahr, das ist Pensionsalter ...“

Der vermeintliche Pensionär, der sonst so gerne am Hengsteysee seine Runden dreht, geht aber nicht in den Ruhestand. Er geht mit mir über die Waldwege in Richtung Kaiser-Friedrich-Turm. Und er geht bald ins Ausland. „Wenn ich nicht die Erfahrung von Nicaragua gehabt hätte, hätte ich das nicht gemacht“, sagt er mit Blick auf jene fünf Jahre in Lateinamerika, in denen er sich auch im sozialen Bereich engagiert hat. Osthus betreute eine deutsche Gemeinde, arbeitete aber auch in einem Elendsviertel mit Familien und mit jungen Musikern.

Er ging mit ihnen in Europa auf Tournee und baute mit den Erlösen aus den Konzerten eine Kindertagesstätte auf. „Osthus geht dorthin, wo Befreiungstheologie noch gelebt wird“, titelte damals eine Tageszeitung in Herford, von wo aus er aufgebrochen war.

Weiter im ökumenischen Sinne

Rund 30 Jahre später hält diese Schlagzeile nicht mehr. „Ich bin fast 64. Ich brauche mich nicht mehr zu verwirklichen“, sagt er. „Ich gehe in die deutsche Gemeinde ohne Vorbehalte. Ich komme dorthin und versuche die Situation und die Probleme zu verstehen. Durchaus auch im ökumenischen Sinne.“

Und doch hat der Mann, der auch mit dem Bündnis „Sozial gerechte Stadt Hagen“ die Armen in den Fokus genommen hat, den Blick schon schweifen lassen. Er erzählt von einem Sozialwerk des evangelischen Missionswerks in einem Township. Jungen Menschen wird dort eine warme Mahlzeit geboten, eine Arbeit, eine Perspektive. „Da schlägt mein Herz auch in diese Richtung“, sagt Osthus, als ahne er, dass der liebe Gott ihm seinen Weg schon weisen werde. „Ich will nicht die Hände in den Schoß legen. Ich gehe dorthin, wo es auch soziale Herausforderungen gibt.“

Solche, denen sich auch Stefan Hippler gestellt hat. Jener Vorgänger, der die deutsche Gemeinde einst gegründet hat. „Er hat sich sehr intensiv mit dem Thema Aids und der notwendigen Prävention befasst“, sagt Osthus über den Mann, der die Aids-Hilfsorganisation „Hope Cape Town Trust“ aufgebaut hat, „er hat auch Geistliche betreut, die sich mit HIV infiziert hatten. Darüber hat er das Buch ,Gott, Aids. Afrika’ geschrieben. All das hat ihm nicht nur Freunde in der Kirche eingebracht.“

Wie und wo er genau leben wird - das weiß Osthus noch nicht. „Ein Pfarrhaus gibt es nicht. Eine Wohnung muss ich mir noch suchen“, sagt Osthus, „aber die Kirche liegt in einem Park. Direkt neben einem Haus, in dem sich Nonnen um alte Menschen und um Kinder kümmern, die an Aids erkrankt sind. Da ist ein sehr schöner Bau im viktorianischen Stil. Und da ist sonntags immer die Messe.“

An einem Donnerstagmorgen ist es nicht voll auf dem Premiumwanderweg. Ein Jogger hechelt uns entgegen und würdigt uns keines Blickes. Ihm folgt eine Frau mit ihrem Hund. „Och“, sagt Osthus, „der ist aber süß. . .“

Bewegtes Jahr liegt hinter ihm

2013 war ein bewegtes Jahr für ihn. Für ihn persönlich, aber auch für die Kirche, die er bald in Südafrika vertritt. Die hat seit März 2013 einen Mann an der Spitze, der für vieles steht, was auch Osthus wichtig ist. „Franziskus hat noch als Bischof in Buenos Aires seine Priester nicht in die Zentralen der Reichen geschickt, sondern in die Armenviertel. Der Erwartungsdruck, der auf ihm lastet, ist riesengroß. Aber er ist sehr nahe an den Menschen.“

Die Zeit werde zeigen, welche Visionen sich umsetzen lassen. „Aber Dinge wie der Umgang mit Homosexualität oder Geschiedenen müssen auf ein neues theologisches Fundament gestellt werden“, sagt Osthus. „Ob das gelingen wird – da habe ich doch gewisse Zweifel.“ Dabei, so sagt er, müsse man immer bedenken, dass von Deutschland nicht immer das Heil der katholischen Kirche ausgehe: „Manches, was wir hier diskutieren, ist für die Katholiken auf anderen Kontinenten völlig absurd.“

Diskutiert wird auch lange über die Veränderungen im Dekanat. Die waren es, die Dieter Osthus’ Abschied als Dechant beschleunigt haben. „Im Januar 2015 werden noch mal die zwei Pastoralverbünde Hagen an der Volme und Hagen-West zusammengelegt“, sagt Osthus. „Das war für mich ein Datum, das mich nachdenklich gemacht hat. Ich wusste, dass das keine Perspektive für mich ist.“

Eine neue Freiheit als Geschenk

So wandte sich Osthus an das Auslandssekretariat der Bischofskonferenz in Bonn. Er reiste nach Südafrika, führte viele Gespräche. Und am Ende dieses Prozesses stand ein außergewöhnliches Präsent: „Ich habe eine neue Freiheit geschenkt bekommen“, sagt Osthus. „Auch, um kreativ zu sein. Nicht um den lieben Gott mal machen zu lassen, sondern um mitzumischen. Diese Freiheit brauche ich dazu.“ So spürt man bei jedem Schritt, den der Dechant auf die Wege im Stadtwald setzt, ein Stück Erleichterung. Darüber, dass er nicht mehr so eingebunden ist in all die Strukturfragen und Personalüberlegungen.

Im Dekanat sind die Würfel gefallen, die Nachfolge-Entscheidung ist gefallen. Dr. Norbert Bathen, Pfarrer von St. Marien, wurde zum neuen Dechanten gewählt. „Er wird auch den großen Raum leiten“, so Osthus. „Das gesamte Team wird sich neu aufstellen müssen. Wie die künftige Personalentwicklung ist, wird kaum absehbar sein.“

Der neue Raum lässt auch den alten Dechanten grübeln. „Ich habe viele Bedenken“, sagt Dieter Osthus, „aber ich weiß auch, dass wir keinen anderen als den vorgezeichneten Weg gehen können. Ich kann nur an alle Laien appellieren, den Weg mitzugehen. Die Zukunft liegt in der Hand der Jüngeren. Das Problem ist, dass ich die manchmal nicht sehe.“

Und so glaubt Osthus, dass „eine katholische Gemeinde der Zukunft nicht mehr nur katholisch sein kann“. Der Weg ist für ihn die Ökumene, die Vernetzung mit anderen. Diesen Weg hat er eingeleitet. „Ich brauchte solch eine Vision, die habe ich mit Bernd Becker und Jochen Marquardt vom DGB entwickelt“, sagt Osthus. „Wenn ich die nicht gehabt hätte, wäre ich nicht so lange geblieben.“ Jetzt geht er. Und ob und wie der Weg der Ökumene fortgesetzt wird, ist offen.

„Ich komme, wenn ihr mich wollt“

Der Ausblick stand am Anfang des Wegs. Und irgendwie auch am Ende. Denn einen Ausblick will Dieter Osthus bald wieder genießen. So wie im August, als er erstmals ans Kap der guten Hoffnung reiste.

Da stand er auf einem Berg und sah hinunter auf Capetown. „Da habe ich auf den Tafelberg geschaut, auf den Lionshead und auf die zwölf Apostel“, sagt er. „Im Hintergrund das blaue Meer. Fantastisch. Da habe ich für mich die Entscheidung getroffen: Ich komme, wenn ihr mich denn wollt.“