Breckerfeld. .

Nick hält den roten Rettungswagen mit dem Blaulicht in seiner kleinen Hand. „Mascha und der Bär“ läuft im Fernsehen. „Guck doch mal, die lange Nase“, sagt er. Er zeigt auf den Bildschirm. Und er lacht.

Nick (3), der kleine Wonneproppen, er lacht, und er lebt. Und das grenzt an ein Wunder. Eines, bei dem Markus Leischner, ein Rettungssanitäter der Berufsfeuerwehr Hagen, seine Hände im Spiel hatte. Der 11. Januar ist jener Tag, an dem Nick Kromm künftig mit seinen Geschwistern Daniel (9) und Igor (16) und seinen Eltern Valentina und Igor ein zweites Mal Geburtstag feiern wird. Und Markus Leischner wird dabei sein. Vielleicht nicht persönlich, aber doch in den Gedanken der Familie, die vor vielen Jahren aus Kasachstan nach Deutschland gekommen ist.

Eine Begegnung der Zufälligkeiten

Landstraße L 528, 10.30 Uhr. Familie Leischner, die im kleinen Dörfchen Rafflenbeul in der Nähe von Zurstraße wohnt, fährt von Halver in Richtung Breckerfeld. Sie waren zum Einkaufen in der Nachbarstadt, obwohl sie das eigentlich nie tun. Und sie haben unglaublich lange gebraucht, obwohl „wir doch eigentlich so gut strukturiert sind.“

Und so kommt es zu einer Begegnung der Zufälligkeiten. 200 Meter vor der Familie bremst plötzlich ein dunkler Van. Ein Mann springt heraus und gestikuliert wild mit den Armen. Eine ältere Frau folgt und hält einen Jungen auf dem Arm, der sich nicht mehr bewegt. „Im ersten Moment habe ich tatsächlich an einen Überfall gedacht“, sagt Markus Leischner, „wer hält schon einfach so an einem Samstagmorgen Autos auf einer Hauptverkehrsstraße an? Dann aber habe ich den Jungen gesehen und wusste sofort, dass etwas nicht stimmt.“

Markus Leischner handelt. Und er spult ein Programm ab, dessen Ende dem kleinen Nick das Leben rettet. „Ich habe einfach funktioniert. Ich habe ihn hochgenommen, ihm immer wieder feste auf den Rücken geschlagen“, sagt Leischner, der mit einem Rettungswagen am Allgemeinen Krankenhaus in Hagen stationiert ist, „ich dachte, dass etwas in der Luftröhre feststeckt.“ Der leblose Junge aber reagiert nicht.

Also legt Leischner ihn an den Straßenrand und beginnt mit der Reanimation. Er drückt immer wieder auf das kleine Herz, versucht Nick durch den Mund zu beatmen. Aber der Kiefer des Kindes krampft. Leischner kommt nicht weiter. Auch die Nase sitzt zu. Nick hat offenbar Schnupfen. Also saugt ihm Markus Leischner das Sekret heraus und presst ihm seinen Atem ein. Plötzlich ein erstes Lebenszeichen: Nick greift nach der Mütze, die neben ihm auf dem Boden liegt. Die Oma nimmt ihn auf den Arm. Nick ist zurück im Leben – ein Wunder.

Eines, das auch seine Schattenseiten hat. Und das ärgert Markus Leischner maßlos. „Es sind unheimlich viele Autos vorbeigefahren. Einige haben sogar gehupt. Aber zunächst hat keiner angehalten“, sagt er. Dabei wäre Hilfe so wichtig gewesen. An diesem Tag haben weder Leischner noch seine Frau noch die Familie Kromm ein Mobiltelefon dabei. „Jeder hätte in dieser Situation helfen können.“

Irgendwann hält ein Auto. Der Notruf geht an die Leitstelle in Schwelm. Die zweite Schattenseite: Bis der Notarzt an Ort und Stelle ist, vergehen weitere 20 Minuten. „Hier in Breckerfeld sind die Wege weit. Aber da muss es eine andere Lösung geben“, sagt Markus Leischner und denkt an eine sogenannte „First-Responder-Einheit“. Die rückt zum Beispiel mit einem für solche Fälle ausgestatteten Wagen im Volmetal aus. „Wenn ich nicht zufällig am Ort gewesen wäre, wäre Nick gestorben. Die Ankunft des Notarztes hätte er mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht erlebt. Vielleicht ist dieser Vorfall ja Anlass, das Rettungskonzept für Breckerfeld zu überdenken…“

Nick wird ins Allgemeinde Krankenhaus gebracht. Als Leischner ihn bei seinem nächsten Dienst am Montag besuchen will, findet er ein leeres Bett vor. Der Junge ist entlassen worden. Viel zu früh für einen so kleinen Patienten, der reanimiert wurde und bei dem die Ursachenforschung für den Erstickungsanfall noch gar nicht begonnen hat. „Bei der Übergabe hat es wohl ein Missverständnis gegeben“, sagt Leischner.

Nick wird erneut eingeliefert. Denn das Kind hat zu Hause wieder schlimme Krämpfe. Diesmal ohne Erstickungssymptome. Erst seit wenigen Tagen kennt seine Mutter Valentina die Ursache: „Er leidet an einer Schädigung der rechten Gehirnhälfte. Deshalb bekommt er epileptische Anfälle. Im Auto hatte ihm seine Oma etwas zu essen gegeben. Daran hatte er sich verschluckt, als der Anfall einsetzte.“

Medikamente verhindern weitere Anfälle. Die Ärzte wollen der Ursache auf den Grund gehen. Viele Untersuchungen muss Nick noch über sich ergehen lassen. Aber er lebt. Und er hat eine Chance, auf eine fröhliche Kindheit. „Das haben wir Markus zu verdanken“, sagt Valentina Kromm, „es war Nicks Schicksal, dass er zufällig im Auto hinter uns gefahren ist. Dafür sind wir unendlich dankbar.“