Hagen. . Wie kam es dazu, dass Hagen zur Wiege der Neuen Deutschen Welle wurde? Warum hat Hagen in den 70er und 80er Jahren eine so wichtige Rolle in der Musikgeschichte gespielt? Prof. Dr. Frank Hillebrandt von der Fern-Uni Hagen will das genauer untersuchen. Im Interview erläutert er Hintergründe.
Wie kam es dazu, dass Hagen zur Wiege der Neuen Deutschen Welle wurde? Warum hat Hagen in den 70er und 80er Jahren eine so wichtige Rolle in der Musikgeschichte gespielt? Diese und weitere Fragen rund um das Thema Musik und der Bedeutung von Musik auf gesellschaftliche Veränderungen stellt Prof. Dr. Frank Hillebrandt im Rahmen eines Forschungsprojektes.
Herr Hillebrandt, Sie lehren an der Fernuniversität Hagen. Ihr Fachgebiet?
Ich bin Professor für allgemeine Soziologie. Derzeit arbeite ich mit einem aus acht Leuten bestehenden Team an der Frage, welche Rolle Rock und Pop beim gesellschaftlichen Wandel spielt.
Projekt wird bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft eingereicht
Wie wird das Ganze finanziert?
Für das groß angelegte Forschungsprojekt haben wir von der Fernuni eine Anschubfinanzierung von 12 000 Euro erhalten. In den kommenden Monaten werden wir das Projekt bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft einreichen. Wenn der Bewilligungsbescheid kommt, können wir für drei weitere Jahre forschen, sprich Interviews führen, Kurzfilme drehen und sämtliche Ergebnisse dokumentieren.
Schwenken wir nach Hagen: ,99 Luftballons’ – Nenas Hit von 1983 kennt tatsächlich fast die ganze Welt. Nena stammt aus Hagen. Genau wie Extrabreit und Grobschnitt. Und auch die Humpe-Schwestern von Ideal, die in Hagen zur Schule gingen.
Ja, Hagen hat sich damals einen Namen als Sprungbrett für Musiker und als Wegbereiter der Neuen Deutschen Welle – kurz NDW – gemacht. Und wie es dazu kam, das wollen wir herausfinden.
Nena war auf Platz 1 in den USA-Charts
Wie kam es denn überhaupt zur NDW?
Die Musikrichtung ist eine Neuerfindung, entstanden Ende der 70er/ Anfang der 80er Jahre; sie hat sich aus der Rock- und Pop-Geschichte entwickelt. Heute ist sie fester Bestandteil unserer Kultur. Nena ist dafür ein Beispiel par excellence. Sie war mit ,99 Luftballons’ sogar in den USA auf Platz 1 in den Charts – das ist ungewöhnlich und einmalig.
Wie konnte Hagen denn Anfang der 80er Jahre zum Zentrum der NDW werden?
Um die Frage zu klären, muss man eher ansetzen – in den 60er Jahren. In Hagen gab es schon sehr früh einen Treffpunkt, wo sich junge Menschen treffen konnten, um ihre eigene Musik zu machen. Das war in der damaligen Zeit höchst ungewöhnlich.
Auf welchen Treff spielen Sie an?
Auf das heutige Jugendzentrum Kultopia, es wurde 1963 als Jugendheim am Buschey eröffnet. Dort konnte sich eine richtige Musikszene bilden – das braucht zehn Jahre. Grobschnitt zum Beispiel entstand schon Ende der 60er Jahre.
In Hagen gab es Menschen, die die jungen Musiker unterstützt haben
Wie ging es dann weiter?
Das damalige Jugendzentrum fand Nachahmer, es bildeten sich mehr und mehr Treffs, in denen Jugendliche Musik machten. Im Rückblick kann man sagen, dass es gut war, dass die Stadt Hagen damals Räumlichkeiten wie dieses Jugendheim und Gelder für diese Art von Arbeit mit Jugendlichen bereit stellte. Erst Mitte der 70er Jahre wurden dort dann die gängigen Disco-Abende veranstaltet. Außerdem gab’s in Hagen Menschen, die die jungen Musiker unterstützten, es gab Läden, in denen man technisches Equipment auf Pump kaufen konnte, die Gründung einer Band war hier weit leichter als in anderen Städten. Der ,Musikertreff’ war lange Zeit erste Adresse für musikbegeisterte junge Leute. Und Ende der 70er Jahre lief dann die NDW an. Besonders in Hagen.
Aber nicht alle Musiker sind dann noch lange hier geblieben, nicht wahr?
Richtig, doch das Fundament wurde in Hagen gelegt. Und das gab schließlich die Sicherheit für eine Großstadt wie Berlin.
Rock und Pop hatten Gesichter wie Jimi Hendrix, Tina Turner oder Abba. Aber die Neue Deutsche Welle?
Natürlich auch. Inga Humpe zum Beispiel, sie ist die personalisierte NDW.
Wie kam es damals bzw. kommt es heute zu Erfolgen im Musikbusiness?
Früher konnten sich Bands langsam räumlich entwickeln – eine Entwicklung von innen war möglich. Heute werden Superstars von der Industrie rasant schnell groß gemacht. Und auch schnell wieder fallen gelassen.
Musik hat Einfluss auf alle Lebensbereiche
Welchen Einfluss hat Musik auf unser Leben?
Einen immensen Einfluss. Und zwar in alle Lebensbereiche. Im Wahlkampf zum Beispiel wird immer mehr Musik genutzt. Denke man nur an die Hymne ,Tage wie diese’ von den ,Toten Hosen’.
Kommen wir auf Hagen zurück. Wie sah ihre Projektarbeit bislang aus?
Wir haben zum Beispiel ein Konzert mit vier Bands im Kultopia besucht. Und Interviews mit Experten vorbereitet. So wollen wir uns mit dem Extrabreit-Drummer Rolf Möller - einem echten Veteranen der Rockmusik – treffen und austauschen. Aber so viel steht heute schon fest: Auch wenn unsere Feldforschung nicht am Standort Hagen stattfinden würde, wären wir im Rahmen unseres Forschungsprojektes garantiert auf die NDW-Schmiede Hagen gestoßen.