Hagen/Siegen/Arnsberg. . Die südwestfälische Wirtschaft verspricht sich von einer großen Koalition am ehesten die Auflösung des Reformstaus. Vor allem Infrastrukturprojekte haben die Unternehmer im Blick. Steuererhöhungen sollten möglichst ausbleiben.

Am Tag nach der Bundestagswahl setzt die südwestfälische Wirtschaft mehrheitlich auf eine große Koalition in Berlin und geht darüber hinaus trotz großer Überraschung recht gelassen mit dem Aus für die FDP und dem Höhenflug der Unionsparteien um. Das ergab eine Umfrage unter führenden Verbandsvertretern in der Region.

„Die Mehrheitsfindung wird spannend“, sagte Egbert Neuhaus, Vorsitzender des Unternehmensverbandes Westfalen-Mitte in Arnsberg. „Der Großteil der Unternehmen will eine Koalition aus Unionsparteien und SPD. Ich auch“, ergänzte er. Der Reformstau in der Bundespolitik sei so groß, dass er nur von den beiden großen Parteien zu lösen sei. Ohne sie hätten die Betriebe nicht so schnell aus der Weltwirtschaftskrise 2009 herausgefunden. Überrascht zeigte sich Neuhaus vom starken Abschneiden der AfD. Es sei aber „gut für die Unternehmen, dass die draußen geblieben sind.“ Das gelte jedoch nicht für die FDP - deren Scheitern sei selbst verursacht: „Die personelle Konstellation hat viel kaputt gemacht.“

Wenig Trauer über die FDP

Dieser Meinung ist auch Willi Hesse, Präsident der Handwerkskammer Südwestfalen in Arnsberg. „Es kann jetzt eigentlich nur eine große Koalition geben“, meint er. Hesse sieht die Interessen des Handwerks bei einer starken CDU gut aufgehoben, seine Trauer über das Scheitern der FDP an der Fünf-Prozent-Hürde hält sich in Grenzen: „Gerade bei den Liberalen mussten wir oft feststellen, dass sie anders geredet als anschließend gehandelt haben.“

Gewinner und Verlierer

Schwarz-Gelb erlebt Triumph und Absturz: Während die Union mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ...
Schwarz-Gelb erlebt Triumph und Absturz: Während die Union mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ... © REUTERS
... bei der Bundestagswahl am Sonntag ...
... bei der Bundestagswahl am Sonntag ... © REUTERS
... klar stärkste Kraft wurde,
... klar stärkste Kraft wurde, © dpa
... verpasste die FDP erstmals den Einzug in den Bundestag.
... verpasste die FDP erstmals den Einzug in den Bundestag. © dpa
Laut dem vorläufigen amtlichen Endergebnis erhielten CDU und CSU zusammen 41,5 Prozent der Stimmen (plus 7,7 Prozentpunkte im Vergleich zu 2009).
Laut dem vorläufigen amtlichen Endergebnis erhielten CDU und CSU zusammen 41,5 Prozent der Stimmen (plus 7,7 Prozentpunkte im Vergleich zu 2009). © dpa
Merkel sprach von einem
Merkel sprach von einem "super Ergebnis" und bedankte sich für das Vertrauen der Wähler. Zugleich ... © Getty Images
... sicherte sie mit Blick auf die neue Stärke der Union zu:
... sicherte sie mit Blick auf die neue Stärke der Union zu: "Wir werden damit verantwortungsvoll und sorgsam umgehen". © AFP
Ihr bisheriger Bündnispartner FDP hingegen scheiterte mit 4,8 Prozent (minus 9,8) an der Fünfprozenthürde und wird zum ersten Mal seit Bestehen des Bundestags nicht im Parlament vertreten sein.
Ihr bisheriger Bündnispartner FDP hingegen scheiterte mit 4,8 Prozent (minus 9,8) an der Fünfprozenthürde und wird zum ersten Mal seit Bestehen des Bundestags nicht im Parlament vertreten sein. © REUTERS
Entsetzen herrschte bei der FDP. Parteichef Philipp Rösler ...
Entsetzen herrschte bei der FDP. Parteichef Philipp Rösler ... © dpa
... kündigte politische Konsequenzen an.
... kündigte politische Konsequenzen an. "Das ist die bitterste, die traurigste Stunde in der Geschichte dieser Freien Demokratischen Partei", sagte er. © Getty Images
"Es sei "eine schlimme Stunde für die FDP", ergänze Spitzenkandidat und Fraktionschef Rainer Brüderle. © dpa
Die FDP hatte bis zuletzt um Leihstimmen von Unions-Anhängern geworben, Merkel hatte dies jedoch abgelehnt.
Die FDP hatte bis zuletzt um Leihstimmen von Unions-Anhängern geworben, Merkel hatte dies jedoch abgelehnt. © AFP
Zweitstärkste Kraft mit deutlichem Abstand zur Union wurde die SPD mit 25,7 Prozent der Stimmen (plus 2,7).
Zweitstärkste Kraft mit deutlichem Abstand zur Union wurde die SPD mit 25,7 Prozent der Stimmen (plus 2,7). © dpa
SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück sagte, seine Partei habe
SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück sagte, seine Partei habe "nicht das Ergebnis erzielt, das wir wollten". Er gratulierte ebenso ... © dpa
...wie SPD-Chef Sigmar Gabriel der Kanzlerin zu ihrem Wahlsieg.
...wie SPD-Chef Sigmar Gabriel der Kanzlerin zu ihrem Wahlsieg. © dpa
"Wir haben verloren. Das ist bittere Realität", sagte Grünen-Spitzenkandidat Jürgen Trittin. © Getty Images
Ko-Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt kündigte eine
Ko-Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt kündigte eine "klare und sehr ehrliche Analyse" an. Koalitionsspekulationen ... © dpa
... lehnte auch Trittin ab, sagte aber:
... lehnte auch Trittin ab, sagte aber: "Wir machen das von der Sache abhängig." © Getty Images
Linksfraktionschef Gregor Gysi verwies darauf, dass seine Partei ...
Linksfraktionschef Gregor Gysi verwies darauf, dass seine Partei ... © dpa
... trotz Verlusten die drittstärkste Kraft im neuen Bundestag sei.
... trotz Verlusten die drittstärkste Kraft im neuen Bundestag sei. © dpa
Partei- und Fraktionsvize Sahra Wagenknecht sagte der Online-Ausgabe der
Partei- und Fraktionsvize Sahra Wagenknecht sagte der Online-Ausgabe der "Mitteldeutschen Zeitung", Linke und SPD könnten nun Partner sein. Dafür müssten die Sozialdemokraten allerdings ihren "Agenda-2010-Kurs" beenden. Ihre Partei werde nicht zu Gesprächen auffordern - "die SPD muss auf uns zukommen", sagte Wagenknecht. © dpa
AfD-Spitzenkandidat Bernd Lucke wertete das Ergebnis seiner Partei als Denkzettel für ...
AfD-Spitzenkandidat Bernd Lucke wertete das Ergebnis seiner Partei als Denkzettel für ... © Getty Images
... die etablierten Parteien.
... die etablierten Parteien. "Wir haben hier ein kräftiges Zeichen des Widerspruchs gesetzt", sagte er. Die AfD will den Austritt Deutschlands aus der europäischen Währungsunion. © REUTERS
Die Wahlbeteiligung lag bei 71,5 Prozent und damit 0,7 Prozentpunkte höher als vor vier Jahren. Insgesamt konnten sich 61,8 Millionen Wahlberechtigte zwischen 34 Parteien entscheiden.
Die Wahlbeteiligung lag bei 71,5 Prozent und damit 0,7 Prozentpunkte höher als vor vier Jahren. Insgesamt konnten sich 61,8 Millionen Wahlberechtigte zwischen 34 Parteien entscheiden. © dpa
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Es sei wichtig, dass die neue Bundesregierung die Forderungen des Handwerks umsetze, so Hesse. Als Beispiele nannte er die Vermeidung der Erhöhung des Spitzensteuersatzes sowie Änderungen beim Meisterbrief: „Die Ausbildung zum Meister ist ein Pfund, das wir in Deutschland haben.“

CDU und SPD Inhaltlich nicht weit auseinander

Von der neuen Regierung erwartet Dr. Ilona Lange, Hauptgeschäftsführerin der Industrie- und Handelskammer Arnsberg, zweierlei: Dass sie auf keinen Fall die Steuern erhöht und dass sie bei den Ausgaben den „Fuß auf der Bremse“ hält. Von daher seien Rot-Rot-Grün oder auch Schwarz-Grün nicht im Sinn der regionalen Unternehmen, wohl aber eine große Koalition, wenn auch ohne Peer Steinbrück.

Auch nach Ansicht von Hans-Peter Rapp-Frick, Hauptgeschäftsführer der Südwestfälischen Industrie- und Handelskammer zu Hagen, liegen CDU und SPD inhaltlich nicht so weit auseinander, dass es zu keiner Koalition kommen könne. „Das ist das Erwartbare.“ Die Union allein verfolge nicht durchgängig Themen im Sinne der Wirtschaft - „das ist keineswegs ausgemacht.“ Viel wichtiger für die regionalen Betriebe als Koalitions-Arithmetik ist Rapp-Frick die Lösung drängender politischer Probleme, unabhängig von Parteien-Konstellationen.

Ohne Kompass

So werde die Energiewende bisher „ohne Kompass“ gestaltet, sei eine Gemeindefinanzreform nicht umgesetzt, die die Unterfinanzierung der Städte beende, sei der Ausbau der Infrastruktur an Straßen, Brücken, Bahn und schnellem Internet in Südwestfalen dringend nötig.

Franz-Josef Mockenhaupt, Hauptgeschäftsführer der IHK Siegen, mahnte zur Vorsicht vor Steuermodellen von SPD und Grünen, „die der Wirtschaft nicht gefallen“, zeigte sich angesichts des Wahlergebnisses aber entspannt. Zur FDP äußern wollte sich Mockenhaupt eigentlich nicht, merkte aber an: „Man kann es bedauern, dass die FDP nicht mehr im neuen Bundestag vertreten ist, aber die Aufrechterhaltung marktwirtschaftlicher Grundprinzipien ist auch bei CDU und SPD gut aufgehoben.“ Die FDP sei der „Wahrer ordoliberalen Gedankenguts“ gewesen - jetzt brauche man einen Nachfolger, „der den Gral bewacht.“