Hagen/Lüdenscheid. . Seit Freitag muss sich ein 17 Jahre alter Schüler aus Lüdenscheid vor dem Landgericht Hagen wegen versuchten Mordes verantworten. Der Jugendliche soll im Januar 2012 zwei Polizeibeamte in einen Hinterhalt gelockt und mit einer Armbrustpistole sowie einer Machete angegriffen haben.

Was trieb einen hochintelligenten 16-Jährigen aus Lüdenscheid am 11. Januar 2013 dazu, die Besatzung eines Streifenwagens in einen Hinterhalt zu locken und einen Beamten mit einer Armbrust zu beschießen? Mit dieser Frage muss sich seit Freitag die 1. Große Jugendkammer des Landgerichts Hagen in nicht-öffentlicher Sitzung beschäftigen.

Der Fall schlug Wellen - und tut es immer noch. Frank Peter Rüggeberg, Rechtsanwalt aus Lüdenscheid und Verteidiger des heute 17 Jahre alten Angeklagten, muss vor Prozessbeginn am Morgen in das Mikrofon eines Privatsenders sprechen, der beim Wort „Amoklauf“ reflexartig hellhörig wird. Denn die Staatsanwaltschaft Hagen fährt schweres Geschütz gegen den Schüler auf. Da ist von versuchtem Mord die Rede und davon, dass der Jugendliche „möglicherweise“ ei­nen Amoklauf geplant habe. „Das Hauptverfahren muss klären“, so Gerichtssprecher Jan Schulte, „ob es eine konkrete Planung gab - darauf könnten eventuell Textdateien auf seinem Computer hindeuten – oder das Ganze eher der Hilferuf eines verzweifelten Jungen war.“

In Hinterhalt gelockt

Am Abend des 11. Januar 2013 soll der bei seiner Familie wohnende Jugendliche die Polizei wegen Party-Lärms in der Nachbarschaft gerufen haben. Dann soll er die zweiköpfige Streifenwagenbesatzung in einen Hinterhalt gelockt und einen Schuss aus einer Armbrust abgegeben haben. Ein Pfeil blieb in der Jacke eines Polizisten stecken. Danach griff er seine Gegenüber mit einer Machete an. Beide Beamten wurden verletzt.

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Für den Verteidiger hatte sich der junge Mann vor der Tat „längst von Amoklauf-Plänen verabschiedet“. Der Jurist spricht von einer psychischen Ausnahmesituation bei seinem depressiven Mandanten: „Es ging ihm nicht darum, die Beamten zu töten. Er hatte den Wunsch, bei der Aktion selbst umzukommen.“

Jugendlicher hatte Liedtext von Linkin Park auf dem Computer

In einer Computer-Datei des Jugendlichen fanden die Ermittler offenbar den Text des Songs „The Messenger“ der US-Band Linkin Park. Ein Stück, das sich sein Mandant in den Wochen vor der Tat immer wieder angehört habe, berichtet Rüggeberg. Darin heißt es: „Wenn du dich alleine fühlst, abgeschnitten von dieser grausamen Welt (…). Hör auf dein Herz, diese Engelsstimmen, sie singen zu dir.“

Dass der Lüdenscheider den Plan hatte, bei einer Polizeiaktion umzukommen, hält dem Anwalt zufolge einer der beiden vom Gericht bestellten Gutachter für möglich. Aus US-Kriminalfällen sei die „Suicide-Cop“-Methode bekannt. Dabei lässt sich ein Lebensmüder von Polizisten erschießen.

Psychisch schwer angeschlagen

Bis heute sei der Schüler, der sich derzeit in einem Jugendgefängnis befindet und in „super-gesunden Familienverhältnissen“ gelebt hat, psychisch schwer angeschlagen, sagt Anwalt Rüggeberg. Unter anderem Folge seines Stotterns, das ihn zum Einzelgänger gemacht habe. „Außerdem ist er in der Schule von Lehrern gemobbt worden.“

Der Jugendliche, so der Jurist, hat sich gestern ausführlich zu den Vorwürfen geäußert und die Angriffe auf die Polizisten eingeräumt. Er versicherte, nicht die Absicht gehabt zu haben, die Beamten zu verletzen oder zu töten. „Die Amoklauf-Pläne waren reine Fantasien im Kopf, um seinen Frust loszuwerden. Er wollte sie nie umsetzen.“

Die Tatwerkzeuge, eine Armbrustpistole („nicht zu vergleichen mit einer klassischen Armbrust, ,nur’ mit einem 10 bis 12 Zentimeter langen Pfeil“) und die Machete, hat der Lüdenscheider nach Aussagen seines Verteidigers über das Internet-Kaufhaus Amazon erworben. Frank Peter Rüggeberg: „Es waren frei verkäufliche Gegenstände, die nicht unter das Waffengesetz fallen.“ Die Jugendkammer unter Vorsitz von Richter Marcus Teich hat beim Landeskriminalamt ein Gutachten in Auftrag gegeben, in dem festgestellt werden soll, welche Verletzungen durch einen Schuss aus einer Armbrustpistole verursacht werden können.

Mordmerkmal Heimtücke

Anwalt Dominik Petereit als Vertreter der Nebenklage sieht nach den Einlassungen des 17-Jährigen keinen Grund, vom Vorwurf des versuchten Mordes abzurücken. Er hält das Merkmal Heim­tücke und eine Tötungsabsicht weiter für gegeben. Gleiches gilt für Staatsanwalt Bernd Haldorn: „Wenn er von den Polizisten erschossen werden wollte, musste er sie vorher in große Bedrängnis bringen.“