Hagen. .
Am Ende ist es im Fußball wie im wahren Leben. Du musst die Hosen runter lassen. Nicht quatschen, sondern machen. Heute Abend ist das wahre Leben. Wembley, Dortmund gegen Bayern. „Echte Liebe“ gegen „Mia san mia“. Pommes-Currywurst gegen Brezeln. „Tach“ gegen „Servus“.
Wie der Kick um Europas Krone heute Abend ausgeht? Wir wissen es, weil zwei Hagener Fanclubs den Champions-League-Kracher für uns im Elfmeterschießen ausgemacht haben. Bavaria Hagen 07 gegen die Supporters Hagen. Fußballfreunde, es wird nicht schön, aber richtig, richtig spannend.
Tradition des Loheplatzes
Wembley ist hier. Wembley ist jetzt. Dieser Ort ist zwar nicht die Wiege des Fußballs, aber es wurde mindestens genauso oft darüber diskutiert. Der Loheplatz. Rauhe, ehrliche Asche, die kein Tackling zu viel verzeiht und die einen gerade noch kontrollierten Ball in der nächsten Sekunde zu einem ungehorsamen Stolperstein werden lassen kann. Hier spielt Hagen 11. Hagen 1911, für alle, die glauben, dass über den Loheplatz weniger Tradition wehe als durch good old Wembley.
„Wollen wir quatschen oder pöhlen?“, brüllt einer durch den Nieselregen. „Jeder, was er kann“, keift einer zurück. Noch bevor der erste Ball aufs Tor gedroschen wird, hat die Abteilung Attacke das Vorglühen bereits hinter sich.
Bavaria Hagen 07 ist die treue Gefolgschaft des Münchener Rekordmeisters, 63 Mitglieder stark. Vorsitzender Thilo Fisahn ist kein Mann der vielen Worte, sondern ein Auf-den-Punkt-Bringer. Als Supporters-Mitglied Kai Lindsiepe gerade das Party-Potenzial der Bayern-Fans in Grund und Boden redet („Die singen doch erst, wenn es 3:0 für sie steht“), sagt Fisahn trocken: „Du gewöhnst dich an alles.“
Sogar die Hunde sind geschmückt
Die Schwarz-Gelben legen vor mit ihrem ersten Elfmeter. Jochen Schierenbeck huft die Pille kräftig am Kasten vorbei. Philipp Neuhaus kontert in voller Bayern-Montur. Bamm. Stramm rechts unten rein. Die Bavaria-Mitglieder jubeln, flankiert von den verkleideten, pardon: geschmückten Hunden Mimi und Ayla. 1:0 für München. Olé, olé und wau-wau!
15 Bavaria-Mitglieder und zehn Supporter werden heute Abend auf einer der begehrten Sitzschalen im Wembley-Stadion Platz nehmen. Thilo Fisahn hat auf Verdacht für 20,40 Euro im März ein Flugticket nach London gebucht. Das Stück Papier ist heute 440 Euro wert. „Das Ticket für Wembley hat 72 Euro gekostet. Ich sehe das Spiel für knappe 90 Euro.“ Der Kerl ist so wagemutig, dass er seine Ansage, ein 4:0 für Bayern beim Wettanbieter Oddset zu tippen, wohl auch noch wahrmacht: „Da gibt’s das 22-Fache raus.“ Junge, Junge, wenn’s läuft, dann läuft’s.
Pascal Graminsky tritt für die Dortmunder an. Saftiger Lattenknaller. Wie gut, dass Lisa Hellbach, die eigentlich lieber „Shaqiri“ genannt wird, die Kugel an den Pfosten nagelt. Jörg „Schelle“ Wald tritt daraufhin zwar großmundig für die Borussen an, pfeffert das Leder aber links über den Kasten. „Ist auch rutschig hier“, ruft er. Klar, und einer hat das Tor verschoben und in der Dämmerung sieht man ohnehin schlechter, stimmt’s?
2:0 – die Vorentscheidung !
Bavaria schickt den Auf-den-Punkt-Bringer zum Schießen. Anlauf, Innenrist, drin! 2:0 Bayern. Das war es schon fast.
Die Supporters haben 40 Mitglieder und bestehen seit 1994. Ihr Stammlokal ist das Ambiente an der Hochstraße und ihr erster Mann ist Jörg Möller, der wegen heute Abend fast vor Stolz aus der Borussen-Kappe platzt. „Wir haben doch gar keinen Druck. Ich hätte mir in der Gruppenphase gewünscht, dass wir noch in der Europa League weitermachen dürfen und jetzt laufen wir heute in Wembley ein.“ Es werde ruppig heute Abend. Und es sei nicht ausgeschlossen, dass Sammer und Klopp sich die zweite Hälfte von der Tribüne aus ansehen.
Die letzten Schüsse. Pascal Graminsky tritt noch mal für den BVB an. Wieder drin. Dass Philipp Neuhaus, Jörg Möller und Thilo Fisahn danach allesamt verschießen, ist nur noch Makulatur. Die Bayern gehen als 2:1-Sieger vom Feld. Ist das eine realistische Prognose, Männer? „Wenn wir das objektiv betrachten, ist Bayern heute der Favorit“, meinen die BVB-Supporters. Aber Turin sei 1997 auch der Favorit gewesen. Und dann kamen Karl-Heinz Riedle und „Laaaaaaaars“ Ricken. Der Rest ist immer noch fühlbare Titel-Romantik.
Am Ende sind sich sogar alle einig: „Es ist irgendwie gut, dass Mario Götze heute Abend nicht spielt. Als wenn es so hätte sein sollen.“ Mit der letzten Ansage aus der Abteilung Attacke fährt Bavaria-Vorsitzender Thilo Fisahn zum Flughafen: „Wir verlieren nicht, weil wir nicht verlieren.“
Fußball ist auch philosophisch.