Hohenlimburg. Ein Schlaganfall riss Susanne Boestfleisch aus ihrem Leben. Das ist eineinhalb Jahre her. Seitdem hat sie einiges durchgemacht, bis sie in einer Einrichtung landete, in der sich die 49-Jährige wohlfühlt.
Am 12. September 2011 endete Susanne Boestfleischs erstes Leben. Ein schwerer Schlaganfall beendete jäh den gemeinsamen Urlaub mit ihrer besten Freundin Beate in Büsum. Nach einem beschwerlichen Weg hat Susanne Boestfleisch zurück ins Leben gefunden – nachdem sie ihren Lebenswillen längst verloren hatte.
Glücklicher Zufall
Denn nach ihrer Reha wusste niemand, wohin mit der heute 49-Jährigen. „Eine Sozialarbeiterin meinte, wir sollten uns mal um einen Heimplatz kümmern“, erinnert sich Beate Drescher. Und Heim bedeutete in diesem Fall: Altenheim. „Wir bekamen eine Liste mit Altenheimen“, erzählt die 47-jährige Hagenerin, „denn eine weitere Therapie hielt niemand für möglich.“ Susanne Boestfleisch landete in einem Altenheim für geistig Behinderte. „Dort lag sie am Ende nur noch im Bett, konnte kaum im Rollstuhl sitzen und nur zwei Worte sprechen“, denkt die beste Freundin mit Grauen zurück.
Erst eine glückliche Fügung läutete den Beginn des zweiten Lebens von Susanne Boestfleisch ein: „Ich traf die Mutter einer Grundschulfreundin, die für Bethel arbeitet“, sagt Beate Drescher. Und so gelangte Susanne Boestfleisch auf Umwegen in die Hohenlimburger Bethel-Einrichtung Haus Grünrockstraße. Dort lebt sie seit September mit 23 anderen Bewohnern, alle haben Hirnschäden seit Geburt oder frühester Kindheit. Boestfleisch ist die erste mit einer „erworbenen“ Hirnschädigung, wie krankheitsbedingte Hirnschäden im Fachjargon heißen.
721 Meter in 33 Minuten
„Sie strahlt den ganzen Tag“, sagt Karsten Raue, stellvertretender Leiter der Einrichtung. Und das hat viele Gründe. Der wohl wichtigste: Sie wird therapiert – und macht immense Fortschritte. Die gelähmte rechte Körperhälfte gehorcht jeden Tag ein bisschen besser. Auch das Sprechen kommt ganz langsam wieder zurück. Und das Schönste: „Susanne ist unglaublich motiviert, sie übt sehr viel“, sagt Raue. Denn die Patientin hat wieder ein Ziel.
Zweimal in der Woche ist Boestfleisch in Herdecke, wo sie im „Ambulanticum“ eine robotikgestützte Therapie am „Lokomaten“, einem hochmodernen Gangtrainer, bekommt. Der hilft ihr mit einem Gurtsystem auf die Beine, stützt sie und erkennt die Eigenaktivität, die Susanne Boestfleisch beim Gehen aufbringt. 721 Meter hat sie kürzlich geschafft, in 33 Minuten. Vor einem Jahr war nicht im Entferntesten an so etwas zu denken. „Hätte man Susanne damals gesehen, würde man nicht meinen, dass das heute derselbe Mensch ist“, sagt Beate Drescher. Was mit moderner Therapie erreichbar ist, zeigt das Beispiel des Geschäftsführers des „Ambulanticum“, Dr. Bernd Krahl. Er hat zwei Schlaganfälle erlitten, durch moderne Therapien das Laufen und Sprechen neu erlernt – heute ist alles fast wieder normal – eine Riesenmotivation für Susanne Boestfleisch.
2000 Euro pro Monat
Doch die Therapie ist teuer, 2000 Euro pro Monat, und wird von der Krankenkasse nicht bezahlt. „Im Bekannten- und Freundeskreis sowie bei Arbeitskollegen habe ich gesammelt“, erklärt Beate Drescher. „Auch die Bethel-eigene Spendenabteilung ist involviert“, fügt Raue hinzu. Bisher ist Boestfleisch die einzige Bewohnerin mit erworbener Hirnschädigung, die im Haus Grünrockstraße therapiert wird. Doch das soll sich ändern: „Wir planen, die nächsten drei freiwerdenden Heimplätze für Menschen wie Susanne einzurichten“, sagt Raue. Sechs sollen es mal werden. „Der Bedarf ist groß“, führt er aus, „weil auch die jungen Schlaganfallpatienten in Altenheimen landen, ohne Therapie.“
Susanne Boestfleisch möchte irgendwann ein eigenständiges Leben führen. Sie weiß, dass der Weg lang ist. Aber sie gibt nicht auf.