Zurstraße. Helmut und Ursula Siebenhüner führten einst den bekanntesten Tanzpalast in Hagen. Vor 15 Jahren übergaben sie den Betrieb an Ralf Janotta. Heute lebt das Ehepaar in Zurstraße.

Der Tänzer tanzt nicht mehr. Die Hüfte verweigert den Foxtrott. Der Mann, der gerade seinen Kaffee umrührt und den Blick hinaus in seinen Garten schweifen lässt, hat zehntausenden Hagenern das Tanzen beigebracht. Helmut Siebenhüner hat sie alle bewegt.

Siebenhüner - das ist wie Brandt. Wie Varta. Wie Villosa. Siebenhüner ist Stadtgeschichte und Kult in einem. Hier brummte eine der besten Diskos der Stadt, hier haben sich viele Mamas und Papas kennengelernt und hunderte Väter in der endlos langen Autoschlange vor dem Theater vor sich hingeflucht, wenn das Töchterchen aus der vereinbarten Abholzeit von 22 Uhr mal wieder 22.20 Uhr werden ließ. Weil sie der angeschmachtete Schwarm kurz vor Disco-Schluss doch noch angesprochen hat.

Die Flammen verschlangen alle Erinnerungen

Heute ist der Mann, der sie alle tanzen ließ, 79 Jahre alt. Und nichts, wirklich gar nichts in seinem gemütlichen Haus in Zurstraße erinnert daran, wie erfolgreich er und Ehefrau Ursula jahrzehntelang über das Parkett schwebten – und schweben ließen. „Brauchen wir nicht“, sagt der Herr des Hauses knapp.

„Gibt’s auch nicht“, ist die andere, die traurigere Antwortmöglichkeit. Als die Tanzschule in der Nacht des 2. Novembers 2002 brannte, verschlangen die Flammen alle Erinnerungen an den bekanntesten Tanzpalast der Stadt. „Das hat uns wahnsinnig weh getan“, sagt Siebenhüner. Er rührt wieder im Kaffee. „Aber lass’ uns nicht von diesem Feuer reden.“

Zahntechniker und Bankangestellte

Siebenhüner hat den abgebrannten Saal seiner alten Schule nie gesehen. Er war ohnehin seit 1998, dem Jahr, in den er den Betrieb an seinen alten Kompagnon Ralf Janotta abgegeben hatte, nur noch einmal in der Schule gewesen. Siebenhüner hat damit abgeschlossen. Er verarbeitet die Vergangenheit nicht, indem er ständig in die Stadt hinunterfährt und in alten Erinnerungen schwelgt. Siebenhüner zieht’s für ein bisschen Nostalgie nicht vom Berg.

Die Siebenhüners sind eigentlich gar keine Hagener. Zumindest keine Originale. Das Leben hatte andere Dinge mit den gebürtigen Bochumern vor. Zahntechniker und Bankangestellte sah das Drehbuch vor. Bis Helmut Siebenhüner 1958 Wind davon bekam, dass man in Hagen eine Tanzschule weiterbetreiben könnte.

Den Rest der Geschichte bringen wir mal in der Sprache knallharter Geschäftsmänner auf den Punkt: Von sechs Tanzschulen in der Stadt blieb am Ende nur eine übrig. Die anderen wurden weggetanzt. Erst viele Jahre später gingen neue Schulen an den Start.

Man lernte etwas über Respekt

Dazu gehört auch die Tanzschule Stein. Und ohne alte Kamellen aus Schubladen wieder hervorholen zu wollen, in denen sie besser bleiben, muss man ein Wort über die Beziehung ihrer Betreiber verlieren, wenn man die Geschichte von Helmut Siebenhüner erzählen will. Denn eigentlich, so dachte Siebenhüner, war die Sache geritzt: Thomas Stein sollte irgendwann der neue erste Mann bei Siebenhüner werden. Doch Stein entschied sich für seinen eigenen Weg. Heute gehören bei Tanzschulen zu den Top-Adressen der Stadt.

Siebenhüner, das war die erste Liebe und das Proben für den Hochzeitstanz. Vor allem aber lernte man bei Siebenhüner etwas über Respekt: „Wir hatten die beste Disko der Stadt mit der ersten Laseranlage der Stadt. Bei uns haben sie sich Hintern an Hintern gerieben. Aber vor allem hat man sich bei uns benommen.“

Ja, da hat er Recht. Für viele Teenager in Hagen gab es nämlich über Generationen hinweg nichts Schlimmeres, als wenn der konsequente Hausherr einem den Tanzpass weggenommen hat. Dann war Schluss mit Party und Schluss mit ersten Gehversuchen zwischen Mann und Frau, zwischen Mädels und Jungs.

Die Besten ihrer Zunft

Siebenhüner und seine Ehefrau Ursula hatten immer den Anspruch, die Besten ihrer Zunft in Hagen zu sein. „Ich bin mir ganz sicher, dass wir heute die gleiche, gute Arbeit abliefern könnten wie damals“, sagt er. Dass er übrigens nicht mehr tanzt, heißt nicht, dass der 79-Jährige auf Bewegung verzichtet. Stammkunde im Fitnesscenter ist er. Dort lässt er dienstags und freitags die Eisen fliegen. Ansonsten zieht es ihn und „Ulla“ gern ins eigene Häuschen nach Südeuropa.

Die Tasse Kaffee ist leer, der Plätzchen-Teller stark zerfleddert. Letzte Frage, Herr Siebenhüner: Wissen Sie eigentlich, wie sich die Jugend heutzutage in den Discos dieser Stadt bewegt? „Das ist kein Tanzen“, sagt er, „keine Technik, keine Disziplin.“ Jive und Boogie könne man dort doch auch zu moderner Musik tanzen.

Helmut Siebenhüner würde es sicherlich hinkriegen. Er würde Zug in die Bude bringen. Wie er es immer getan hat.