Essen. Sie fühlen sich ausgebeutet durch Gagen, die nicht zum Leben reichen, und Knebelverträge, die keine Freizeit vorsehen: Tausende Künstler schildern auf einer Facebook-Seite ihren alltäglichen Kampf um Geld und Anerkennung. Die Beispiele verdeutlichen, woran es in der Branche krankt.
Tausende Künstler proben den Aufstand: Auf einer Facebook-Seite beklagen sie sich über miese Gagen, unregelmäßige Arbeitszeiten und unfaire Auftraggeber. Tausende Beispiele von Sängern, Musikern, Tänzern und Autoren sind so schon zusammengekommen. Gemein ist ihnen, dass sie genauso wütend sind wie hilflos.
Da ist der Chorleiter, der für 18 Euro pro 45-Minuten-Session einen Kinderchor leiten sollte, Vorbereitung, Nachbereitung sowie Organisation von Auftritten inklusive. Oder der Sänger, der auf eigene Kosten zu einem Vorsingen anreist, dort auch vorsingt, nur um zu hören, dass ein Tenor, kein Bariton gesucht werde.
Künstler, die zu niedrigen Gagen arbeiten, verderben die Preise der anderen
Andere berichten von nicht eingehaltenen Absprachen: Weil der Vorverkauf für ein Konzert schlechter gelaufen war als geplant, sei kurzerhand die Gage der Künstler halbiert worden. Einer berichtet, er habe seinem Konzertveranstalter extra Plakate geschickt habe, um seinen Auftritt zu bewerben. Die Plakate habe er am Tag des Konzerts unausgepackt in einer Abstellkammer gefunden.
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Die Liste der Beispiele ist endlos, ebenso die Aufrufe, "endlich etwas zu tun" und sich "das nicht länger gefallen zu lassen". 5000 Nutzer, nicht nur Künstler, haben auf der Seite den "Gefällt mir"-Knopf gedrückt. Die Wut der Kulturschaffenden richtet sich gegen Konzerthäuser, Veranstalter und Agenturen, aber auch gegen Künstler, die für kümmerliche Gagen arbeiten und somit die Preise verderben.
Eine Unternehmensberaterin gibt Tipps
"Solange genug Kollegen zu diesen Konditionen arbeiten, sehe ich wenig Möglichkeit, Gagenskandale zu verhindern", schreibt einer, "Dass die Kollegen damit am Ast sägen, auf dem wir gemeinsam sitzen, ist ihnen vielleicht egal." Jeder Gedanke an einen Boykott-Aufruf wird mit dem immer gleichen Argument im Keim erstickt: Dann macht den Job halt ein anderer.
Eine echte Chance haben die Künstler nur, wenn sie zusammenhalten. Auf der Facebook-Seite bekommen sie Tipps von einer Unternehmensberaterin, die sich nach eigenen Angaben selbst kurz als Künstlerin versucht hat: "Ihr müsst euch gemeinsam gegen die Verhältnisse stellen und mit euren schwachen Waffen angreifen."
Welche Verantwortung tragen die Künstler selbst?
Viele Künstler, wenig Jobs - daraus resultieren niedrigere Gagen. Das ist einfache Ökonomie, und da will der Initiator der Seite, der Hagener Musical-Produzent Johannes Maria Schatz, ansetzen. "Wir wollen Künstler dafür sensibilisieren, dass sie selbst für die Gage verantwortlich sind, zu der sie arbeiten", erklärt er. Wer Mini-Gagen bekämpfen wolle, müsse im Extremfall auch einmal ein Engagement ablehnen, wenn die Gage zu niedrig sei.
Schatz kennt auch die andere Seite des Kulturbetriebs, er hat sowohl als Autor als auch als Produzent von Musicals gearbeitet. Er weiß, dass viele Intendanten und Generalmusikdirektoren Ausschreibungen mit Mini-Gagen nur unwillig unterschreiben. "Die stehen doch auch unter dem Spardiktat der Politik", sagt er. Trotzdem sieht er die Leiter in der Verantwortung: "Dann muss ich meinen Spielplan halt meinem Budget anpassen."
Ein Interessenverband für Künstler soll es richten
Ende März findet ein "erstes Sondierungsgespräch" statt, auf dem geklärt werden soll, welche Schritte machbar sind. Man denke an ein Symposium, das mittelfristig in der Gründung eines internationalen Interessenverbands münden könne, erklärt der Initiator.
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Schatz ahnt, dass er kaum die Interessen aller Künstler vertreten kann. Wie sollen sich der Vermieter eines Tonstudios in Köln und die freischaffende Autorin aus Thüringen auf gemeinsame Forderungen einigen? An wen sollen sie diese richten? "Es wäre extrem schwierig, alle unter einen Hut zu bekommen", sagt er und erwägt deshalb, sich auf die darstellende Künste zu beschränken.
Was man als Zuschauer tun kann
Die Forderungen, die Schatz auf der Facebook-Seite mit dem sperrigen Namen "Die traurigsten & unverschämtesten Künstler-Gagen & Auditionerlebnisse" aufstellt, dürften dennoch den meisten Künstlern aus der Seele sprechen: Mindestgagen bei geförderten Kulturproduktionen, ein Verhaltenskodex für Produzenten. Schatz richtet seinen Appell an Politik und Arbeitgeber, doch auch die Zuschauer sieht er in der Pflicht: Sie sollten sich über die Arbeitsbedingungen am Theater vor Ort zu informieren: "Machen Sie sich bewusst, wie lange Künstler lernen müssen, um den Standard zu erreichen, den Sie zu Recht so schätzen!"
Mancher Künstler flüchtet sich in Galgenhumor
Dass ihre Möglichkeiten begrenzt sind, ist den Initiatoren bewusst: "Wir sind realistisch genug, zu wissen, dass wir durch diese Seite mittelfristig kaum etwas ändern können", schreiben sie, "Aber je mehr Menschen davon erfahren, wie schlecht Künstler bezahlt und behandelt werden, desto eher lässt sich daran auch etwas ändern!"
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Wer daran nicht mehr glaubt, flüchtet sich in Galgenhumor - und postet zum Thema passende Witze auf der Seite: "Kommt ein Musiker zum Arzt. Der Arzt untersucht ihn und sagt: 'Ich habe eine schlechte Nachricht für Sie. Sie haben nur noch vier Wochen zu leben.' Der Musiker erschrickt: 'Vier Wochen?! Aber wovon?!'" Nicht jeder kann darüber lachen.