Hagen.. Das Jugendstück „Abgefahren“ (geeignet für Menschen ab 16 Jahren) versteht sich als sozio-kulturelles Projekt im Lutz und wird von ehemals süchtigen Straftätern gespielt.

Sie stehen abseits, am Rande der Gesellschaft, und sollen plötzlich auf großer Bühne spielen? Und das Ganze soll auch noch ernsthaft rüberkommen und freiwillig sein? Ein schwer zu erklimmender Berg, den Regisseur Werner Hahn und 14 junge Männer seit November vor der Brust haben. Die Männer sind übrigens Patienten des Behandlungszentrums Deerth. Im Klartext: Es handelt sich um ehemals süchtige Straftäter, die in der Drogenklinik in Wehringhausen untergebracht sind und bei offenen Türen und ohne Zäune resozialisiert werden sollen.

Und nun Theater. Und Tanz. „Ich bin doch keine Pussy. Aber ihr, ihr macht euch voll zum Depp.“ So hat Önder, 27 und seit einem Jahr in der Einrichtung, jene Kumpel aus der Klinik beschimpft, die sich freiwillig für „Abgefahren“ gemeldet haben. Das Jugendstück (geeignet für junge Menschen ab 16 Jahren), versteht sich als sozio-kulturelles Projekt (über 20 hat das Lutz bislang auf die Bühne gebracht) und wird vom NRW-Ministerium für Familie und Jugend gefördert.

Aber zurück zu Önder: Er ist vor eineinhalb Wochen – in der heißen Probephase – doch noch beigetreten – als Ersatz für einen Kumpel, der die Brocken geschmissen hat. Zur Premiere am Samstag hat der junge Mann mit türkischen Wurzeln seine Schwester und seinen Schwager eingeladen. „Klar musste ich über meinen Schatten springen, aber ich hab’s geschafft“.

"Mein Stolz stand mir im Weg"

Geschafft, sich nach 30 Jahren wieder darauf einzulassen, etwas Neues zu lernen und seinen Alltag wieder in einen Rhythmus zu bringen, hat es auch Richard. „Und während der Proben von den anderen Jungs Applaus zu bekommen – das ist schon toll“, gesteht er.

„Ein paar Patienten hatten in der Vergangenheit die sozio-kulturellen Stücke ,Charming Boys’ und ,Ehrensache’ gesehen. Als ich mit der Idee im Deerth anrückte, ein neues Theatertanzstück – diesmal mit ihnen selbst – zu erarbeiten, waren einige wenige gleich dabei“, erinnert sich Werner Hahn. Der Großteil der Angesprochenen polterte allerdings abfällig los, dass Tanzen doch schwules Zeug und bestimmt nichts für Männer sei. „Natürlich, das Leben dieser Männer ist auf andere Sachen konzentriert und da sind Theater und Tanz ganz weit weg“, räumt der erfahrene Regisseur ein, „doch irgendwie konnte ich ihnen vermitteln, dass sie, wenn sie teilnehmen, ihren Stolz und ihre Würde nicht verlieren“.

Einige der meist gebrochenen Existenzen mit Biografien, die mit Bühnenglamour und Rampenlicht so gar nichts zu tun haben, haben sich auf das Abenteuer eingelassen. „Mein Stolz stand mir mein Leben lang im Weg. Doch jetzt hab’ ich mich mal überwunden – und bin ­total zufrieden“, sagt Önder.

"Nee, mach ich nicht"

Sein Kumpel Paul nickt. Er spielt in „Abgefahren“ eine Frau. Seine erste Reaktion, als er erfuhr, dass er in die Rolle der Therapeutin schlüpfen sollte? „Nee, mach ich nicht. Da fehlen ja nur noch Minirock und Stiefel.“ Doch auch Paul hat sich überwunden, blickt nun ein wenig entspannter in die Zukunft außerhalb der Klinik.

Tanzpädagogin Diana Ivancic hat sich mit den Patienten dem „unbekannten Wesen Tanz“ genähert. Ganz langsam, ganz locker . . . Das Ergebnis? Mal geht’s auf der Bühne breakdance-mäßig zu, mal wird regelrecht archaisch marschiert.

Werner Hahn betont, er bringe kein biografisches Theater auf die Bühne, wobei einige reale Momente in die Handlung, die sich erst im Laufe der Proben entwickelt habe, eingeflochten seien. Zum Inhalt nur so viel: Ein Patient fliegt aus der Klinik, da er Drogen genommen und gedealt hat. Misstrauen macht sich unter den anderen breit, denn wer hat den Ertappten verpfiffen . . . ?