Essen/Hagen. . Enervie-Vorstandssprecher Ivo Grünhagen vermisst klare Linien in der Energiepolitik.

Die Amerikaner sind einfach anders als die Deutschen. Das hat sich gerade erst wieder gezeigt, beim größten US-Sportereignis des Jahres, dem Football-Endspiel, dem Super Bowl. Da gab es einen halbstündigen Stromausfall. „Und das fanden die Menschen gar nicht schlimm“, konstatiert Ivo Grünhagen. „Das ist eben eine andere Mentalität.“ Der Vorstandssprecher des Energieversorgers Enervie erwähnt sie, um die deutsche dagegenzustellen: Sicherheit. In diesem Fall: Versorgungssicherheit. „Wir müssen und wollen aufpassen, dass ein solcher Blackout nicht eintritt“, sagt Grünhagen. Und deshalb kritisiert er die deutsche Politik, die bei der Umsetzung der Energiewende etwas vernachlässige, das Deutschland Jahrzehnte lang positiv geprägt habe: verlässliche Rahmenbedingungen.

Der Hagener Energiemanager hält sich derzeit in Essen auf. Auf der Fachmesse E-world pflegt er den Branchenaustausch, nutzt die Kontaktmöglichkeiten, um ein Gefühl für die Trends am Markt zu bekommen. Und er äußert seine Sorgen. Über Politiker, die unterschätzen, wie langfristig Investitionsentscheidungen in der Energiebranche fallen: „Kraftwerke haben einen Lebenszyklus von 30 bis 60 Jahren. Und den Steinkohle-Kraftwerkblock in Werdohl, den wir im Frühjahr 2014 stilllegen, könnten wir nicht einfach weiterlaufen lassen. Dazu hätten wir sonst längst eine Revision fahren müssen.“

Netzstabilität gefährdet

Wenn aber weiter Kraftwerke abgeschaltet würden und keine neuen konventionellen dazu kämen, sei in fünf Jahren die Netzstabilität gefährdet. Und es komme nichts hinzu, weil es sich nicht rechne. Enervie hat den Bau zweier Gas- und Dampfkraftwerke auf Eis gelegt. Dabei erzeugt Gas nicht nur wenig CO2, sondern wäre besonders geeignet, um Schwankungen bei den erneuerbaren Energien kurzfristig aufzufangen. Aber im Moment führen bestehende Gaskraftwerke keine Gewinne ein, und Investitionen in neue, die nur 100 Stunden im Jahr liefen, seien unmöglich. „Gewinne machen derzeit vor allem Betreiber von Braunkohlekraftwerken“, kritisiert Grünhagen. „Wenn die Marktmechanismen so bleiben, werden alle Gaskraftwerke geschlossen.“

Das hängt auch zusammen mit europäischen Emissionshandel und dem Einbruch der Preise für CO2-Zertifikate von über 20 auf unter 5 Euro. „Das liegt aber nicht am technischen Fortschritt, sondern an der Rezession in Südeuropa“, sagt Ivo Grünhagen und fragt: „Was ist, wenn es wieder Wachstum gibt?“

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Von der Politik erwartet er deshalb neue Anreize: Zum Beispiel - nach dem Vorbild der Brennelementesteuer für Akw - eine Braunkohlesteuer, die finanzielle Nachteile von Steinkohle und Gas ausgleichen könne. Eine weitere Idee: „Mit den drei Milliarden Euro, die der Staat über die Mehrwertsteuer von der EEG-Umlage einnimmt, ließe sich ein Marktimpuls setzen, damit benötigte Bestandskraftwerke bestehen bleiben.“ Die Frage müsse sein: „Was ist uns Netzstabilität wert? 20 bis 30 Milliarden Euro bezahlen wir jährlich für regenerativen Strom.“

Dezentrale Investitionsanreize

Und ob bei den erneuerbaren Energien globale Fördermechanismen für das ganze Land gelten müssten, bezweifelt Grünhagen auch: „Die Problematik der ungleichen Verteilung von Wind im Norden und Photovoltaik im Süden kann man nicht nur über die Netze lösen, sondern auch über dezentrale Investitionsanreize.“