Hagen/Attendorn. . Viele Kommunen erhöhen ihre Grundsteuern - und das teils kräftig. Mietervereine wüten, sprechen von einer “Erhöhungsorgie“, die „skandalös und unverantwortlich“ sei. Auch der Bund der Steuerzahler ist sauer. In Südwestfalen nimmt Attendorn am wenigsten, Hagen am meisten.

In Attendorn müsste man wohnen. Preiswerter als in Attendorn lebt es sich nirgends in Südwestfalen - was die Grundsteuer B betrifft. Die Hansestadt im Kreis Olpe hat die Grundsteuer seit 2003 nicht mehr erhöht. 315 Prozent beträgt der Hebesatz, etwa 250 Euro zahlen die Attendorner im Schnitt für ihr Häuschen. In Südwestfalen ist das, aus Sicht der Bürger, der Spitzenwert, der niedrigste also. Mit Abstand.

Die Grundsteuer B wird bei Haus- und Wohnungseigentümern erhoben; wer seine Immobilie nicht selbst bewohnt, darf sie über die Nebenkosten direkt an die Mieter weiterreichen.

Grundsteuer ist sozialpolitisch brisant

Das macht die Steuer, einerseits, sozialpolitisch brisant: Die Bürger werden unabhängig von ihrer Ertragskraft zur Kasse gebeten, jeder zahlt, arm wie reich. Und andererseits so lukrativ für die Kommunen: Die Erhebungsbasis ist breit, das sichert hohe Einnahmen.

Hagen steht für den anderen Spitzenwert bei der Grundsteuer, den aus Sicht des Kämmerers. Auf 750 Prozent hat der Rat gerade den Hebesatz für die Grundsteuer für das Jahr 2013 erhöht, von bislang 530 Prozent.

Der Kämmerer der klammen Kommune kalkuliert mit Mehreinnahmen von 14,9 Millionen Euro. Das werden die Hagener Bürger zu spüren bekommen: Für eine 80-Quadratmeter-Wohnung rechnen Wohnungsbaugesellschaften mit Mehrkosten von durchschnittlich 60 bis 75 Euro im Jahr.

Mietervereine kritisieren erhöhte Grundsteuer

„Skandalös und unverantwortlich“ - Klaus Dietrich schäumt ob der „Erhöhungsorgie“. Der wohnungspolitische Sprecher der Hagener Mietervereine kritisiert die Hagener Politik, sie habe sich für den „bequemsten Weg“ entschieden. Weil auch viele andere Wohn-Nebenkosten stiegen, kämen „normale Haushalte in Bereiche, da geht es an die Substanz“, warnt Dietrich. „Wer will noch in Hagen wohnen, wer will hier ein Haus bauen?“, fragt der Wohn-Experte nach den Folgen des Beschlusses.

Dabei steht Hagen längst nicht allein da, im Gegenteil. So erhöht Hemer den Hebesatz wohl heute von 455 auf stolze 680 Prozent, auch Arnsberg, Rüthen und Lüdenscheid erhöhen. In Balve ist eine Anhebung von 470 auf 600 Prozent auf den Weg gebracht, auch in Warstein fordert der Kämmerer mehr. Wer jetzt nicht erhöht, hat es meist in den Vorjahren schon getan.

Bund der Steuerzahler fürchtet Erhöhungen in weiteren Kommunen

Den Vogel könnte Schwelm abschießen, wo Kämmerer Ralf Schweinsberg den Lokalpolitikern die Pistole auf die Brust setzte: Wenn sich der Rat nicht auf ein Sparpaket einigen könne, müsse die Grundsteuer B auf 850 Prozent nahezu verdoppelt werden, warnte er. Das wäre der höchste Hebesatz in NRW und wohl auch bundesweit. Den hat bislang Selm inne, das 2012 auf 825 Prozent erhöhte. Klagen dagegen hat das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen erst Ende Oktober zurückgewiesen. Die Steuererhöhung in Selm sei weder willkürlich noch führe sie zu einer unzumutbaren Entlastung der Eigentümer, so die Richter.

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Der Bund der Steuerzahler (BdSt) fürchtet, das Urteil werde Signalwirkung haben: „Viele Kommunen werden nachziehen“ erwartet BdSt-Frau Sabine Kämpfer. Dabei empfindet sie das Gebaren der Kommunen schon jetzt als „maßlos“, die Kommunen sollten sparen, statt weiter an der Steuerschraube zu drehen.

Klaus Hesener bringt mehr Verständnis auf für die Kollegen. Der Attendorner Kämmerer verweist auf die strukturellen Probleme vieler kommunaler Haushalte, die Sozialausgaben seien vielfach extrem hoch. Attendorn habe Glück, die starke mittelständische Wirtschaft führe zu hohen Einnahmen aus der Gewerbesteuer, „damit subventionieren wir die Grundsteuer“, sagt Hesener.

Wegen des niedrigen Hebesatzes verzichte die Stadt­ ­gar auf Landesmittel, bewusst, denn „es ist ausdrücklicher politischer Wunsch, die Bürger zu ­schonen“. Dass Bürger aus Hagen, Hemer oder Balve nun der ­Grundsteuer wegen ihren Wohnsitz nach Attendorn verlegen, glaubt Hesener nicht. „Wegen eines Steuervorteils von 200 Euro im Jahr zieht doch niemand nach Attendorn“, gibt sich der Kämmerer realistisch.