Hagen.. Immer mehr Studienanfänger ohne Abitur schreiben sich an deutschen Hochschulen ein. Allein an der Fernuni Hagen starten 2502 Erstsemester ihr Studium ohne allgemeine Hochschulreife: Die Fernuniversität ist damit bundesweit Spitzenreiter und bringt NRW im Ranking der Bundesländer aus dem Mittelfeld der früheren Jahre nun auf Platz 1.

Er wollte etwas tun, etwas leisten. Er wollte arbeiten und Geld verdienen. Also hat Alexander Putz nach der 10. Klasse die Gesamtschule verlassen, eine Lehre bei der Vereinigten Sparkasse im Märkischen Kreis angefangen. Dann aber, nach ein paar Jahren im Beruf, wollte er wieder etwas lernen, sich weiterbilden - studieren. Aber ohne Abitur? „Der Weg, es in der Abendschule nachzuholen, wäre sehr weit gewesen“, sagt Alexander Putz.

Dass man auch ohne Abitur studieren kann, das hat er zufällig in einem Zeitungsbericht über die Fernuniversität Hagen erfahren. Nun lernt er im fünften Jahr neben dem Beruf noch Wirtschaftsrecht, schreibt derzeit an seiner Bachelor-Arbeit. Damit ist er längst kein Paradiesvogel mehr: Nahezu ein Drittel der Studienanfänger an der Fernuniversität (30,65 Prozent) hat nicht die Hochschulreife. In absoluten Zahlen: Im Jahr 2010 besaßen von 8164 Erstsemestern 2502 kein Abitur. In ganz NRW waren es 4134.

Fernuniversität Hagen ist bundesweit Spitzenreiter

Damit ist die Fernuniversität bundesweit Spitzenreiter - und bringt Nordrhein-Westfalen im Ranking der Bundesländer aus dem Mittelfeld der früheren Jahre nun auf Platz 1. Das hat eine Studie des Centrums für Hochschulentwicklung (CHE) in Gütersloh ergeben. 4,2 Prozent der Anfänger in NRW haben kein Abitur, das sind doppelt so viele wie im Bundesdurchschnitt (2,1) Prozent.

Zum Vergleich: An der Universität Siegen waren von mehr als 4000 Erstsemestern zuletzt 50 Bewerber „beruflich qualifiziert“, also ohne Abitur. Und an der Fachhochschule Südwestfalen hatten zum Wintersemester 2011 lediglich 130 von 3300 Erstsemestern eine berufliche Qualifizierung.

Gemeinsam ist den drei Hochschulen aber, dass die Zahl der Studenten ohne Abitur seit 2010 deutlich gestiegen ist. So haben an der Fernuni im Wintersemester 2009 noch 81 Studenten ohne Abitur begonnen. Im darauffolgenden Wintersemester waren es bereits 2384. In Siegen ist die Zahl der Bewerber immerhin innerhalb eines Jahres von 20 auf 50 gestiegen, an der Fachhochschule Südwestfalen von 73 auf 130. Hauptgrund für diesen Aufwärtstrend sind dem CHE zufolge die mittlerweile erleichterten Zugangsbedingungen, die in NRW noch über das hinausgehen, worauf sich die Kultusministerkonferenz im Jahr 2009 verständigen konnte.

Studenten werden gut informiert und unterstützt

Dass die Fernuni weit vor anderen Hochschulen im Land steht, liegt den Forschern der CHE zufolge daran, dass es für Studenten ohne Abitur viele Informationsveranstaltungen gebe sowie unterstützende Kurse, die auf das Studium vorbereiten. Damit hat auch Alexander Putz bereits im Jahr 2007 gute Erfahrungen gemacht. Für ihn war es nur ein Anruf bei der Universität, dann bekam er Info-Material. Und das sei so klar formuliert gewesen, dass es verstehen musste, „wer des Lesens mächtig ist“, so Putz. Zudem hätten ihn im Hagener Regionalzentrum Mentoren gut auf die drei Klausuren vorbereitet, die er damals erst bestehen musste, bevor er das Studium beginnen konnte.

Die Mentoren haben ihm auch geholfen, wenn er das Abitur manchmal im Studium doch ein bisschen vermisste, wenn es nämlich um Mathematik ging. „Da fehlte mir einfach die Oberstufe.“ Dafür habe er durch seine Berufserfahrung auch Vorteile gehabt, vor allem wenn es um Buchführung und Rechnungswesen ging.

Sonntags um 6 Uhr aufstehen, um Zeit zum Lernen zu haben

Beliebt ist die Fernuni bei Erwerbstätigen wie ihm auch, weil sie ihren Beruf und ihren Verdienst für das Studium nicht aufgeben müssten, heißt es beim CHE. In der Regel gibt es nämlich für Bafög und Stipendien eine Altersgrenze, die bei 30 Jahren liegt. Zudem könnte ein Meister, der womöglich noch eine Familie zu ernähren hat, vom gewöhnlichen Bafög-Satz nicht leben. Der beträgt 670 Euro, für Studenten mit Kind 783 Euro.

Das war wohl auch Alexander Putz zu wenig. „Nach vier Jahren im Beruf wollte ich meinen Lebensstandard nicht mehr aufgeben“, sagt der heute 29-Jährige. Andererseits erfordere ein Studium neben der Arbeit „viel Konsequenz“, sagt er. An vielen Sonntagen ist er in den vergangenen Jahren um sechs Uhr morgens aufgestanden, um rechtzeitig im Regionalzentrum zum Lernen zu sein.

„Ich bin nach manchem Wochenende montags nicht erholt zu Arbeit gegangen“, blickt er zurück. „Und ich war auch nicht bei jeder Feier dabei.“