Hagen. . Eine Hagener Restaurant wird ab Mittwoch eine sprechende Speisekarte für blinde und sehbehinderte Menschen anbieten. Das Restaurant will damit Blinden helfen, die die Brailleschrift nie gelernt haben. Der Förderverein für das Blindenwesen erhofft sich mehr Selbstständigkeit.
Die Griechen haben es zurzeit wirklich nicht leicht (Euro, Fußball-EM), aber in einem sind sie den Deutschen voraus: Ab Mittwoch bieten Sofia und Georgios Petalidis in ihrem Hagener Restaurant „Polis“ eine sprechende Speisekarte an, damit blinde und sehbehinderte Menschen ihr Essen ohne die Hilfe anderer auswählen können. „Sicherlich noch einzigartig“, meint Dieter Hecklau vom Förderverein für das Blindenwesen Hagen (FBH), der die Idee zu dieser Karte hatte.
„Wir haben regelmäßig Sehbehinderte unter unseren Gästen, wir finden die Karte absolut super“, sagt Georgios Petalidis. Am Mittwoch wird die spezielle Karte vom Verein an die griechische Gastronomenfamilie überreicht, fix und fertig besprochen, sagt Hecklau. Für ihn ist es eine Barriere weniger und ein kleiner Schritt zu mehr Selbstständigkeit von blinden Menschen. Auch Gäste, die nicht lesen können oder vergessliche Menschen, die ihre Lesebrille verkramt haben, nutznießen von der Technik. Aber warum setzt der Hagener Förderverein nicht auf die übliche Brailleschrift? „Weil es viele Späterblindete gibt, die nie Blindenschrift erlernt haben“, entgegnet Dieter Hecklau.
Die sprechende Speisekarte ist mit einem Handscanner in Gestalt eines dicken Kugelschreibers, einem Lautsprecher und kleinen Etiketten neben den Gerichten ausgestattet. Fährt der Gast mit dem Stift darüber, ordnet ein Strichcode die entsprechende Aussprache zu. Hören, was gekocht wird. „Spätere Änderungen kann der Wirt selbst aufsprechen“, sagt Hecklau. Die Karte kostet 150 Euro und wird vom Förderverein für das Blindenwesen finanziert, nicht ohne Hintergedanken. „Wir hoffen auf Sponsoren für diese förderungswürdige Idee“, sagt Hecklau.
Wie ein Sehender in der Karte blättern
Jemand, der bereits Erfahrung mit ähnlicher Technik hat, ist Dr. Jürgen Trinkus, Archivar beim NDR in Kiel und Vorsitzender des Vereins „Andersicht – Kompetenz für hör- und tastsinnige Projektarbeit“. Auf dessen Betreiben bieten drei Restaurants in Norddeutschland, unter anderem das Café Seehund auf der Hallig Hooge, eine ähnlich funktionierende Speisekarte an. „Man kann wie ein Sehender in der Karte blättern, muss sich nicht alles anhören. Aber es ist nicht der große Marktrenner“, sagt Trinkus.
Resonanz hängt von Aufmerksamkeit des Personals ab
Die Resonanz hänge von der Aufmerksamkeit des Personals ab, das sehbehinderte Menschen erkenne und ihnen die Karte anbiete. Für eine technische Sackgasse hält er die Hörstifte aber nicht: „Wir müssen nur raus aus der Blindenecke.“ Etwa, wenn ein kultiger Mensch aus der Region die Speisekarte bespreche, „so dass auch Sehende ihre Freude daran haben“, oder die Stifte mehrsprachig seien für ausländische Gäste. Derzeit entwickelt der Verein Andersicht einen Hörstift, der für den Museumsalltag geeignet ist.