Hagen-Mitte.
Mit der gebotenen Würde seines Amtes trägt er sicherlich ein paar Kilos zu viel mit sich herum, aber bei seinen öffentlichen Auftritten hat vor allem sein Wort Gewicht. Wer auf die Fortentwicklung der Hagener Innenstadt in den vergangenen Jahrzehnten blickt, kommt an den richtungsweisenden Spuren von Jürgen Glaeser nicht vorbei. In Anerkennung seines Wirkens wird dem gebürtigen Berliner heute das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse verliehen.
Der Bezirksbürgermeister Mitte, der diese Rolle bereits in der dritten Legislaturperiode mal mit Leidenschaft, mal mit Charme oder auch mit Klartext ausfüllt, hat häufig in der ersten Reihe, aber viel lieber subtiler hinter den Kulissen die städtebaulichen Weichen für die Hagener City in Richtung Zukunft gestellt. „Wir können sicherlich ein bisschen stolz sein auf das Erreichte, und ich bin froh, daran mitgewirkt zu haben“, bekennt der 70-Jährige sich zu seiner Freude am Gestalten. „Dabei darf man nicht im Samthemd herumlaufen, sondern es braucht Durchsetzungskraft und die Gabe, Entscheidungsträger mitzureißen“, räumt der bekennende Vertreter der Bussi-Fraktion gleichzeitig ein, den Stein der Weisen auch nicht immer in der Tasche gehabt zu haben. „Dafür habe ich immer versucht, überparteilich zu handeln“, setzt der Kaufmann auch heute noch auf breite Mehrheiten.
Gelebte Amerika-Leidenschaft
Dass er in den Wirren des Zweiten Weltkriegs im Mai 1941 ausgerechnet in der Reichshauptstadt das Licht der Welt erblickte, war der Tatsache geschuldet, dass sein Vater als Mitglied des Oberkommandos der Luftwaffe beste Wochenbett-Versorgung organisiert hatte. Denn eigentlich verbrachte Jürgen Glaeser seine ersten sechs Lebensjahre in Staßfurt bei Magdeburg, das sich gerne als die Wiege des Kalibergbaus rühmt. Erst nach der Kapitulation verschlug es die Familie nach Westfalen, wo der Vater eine Stelle als Rektor der katholischen Grundschule Emst antrat.
Doch Sohn Jürgen trieb es nach der Reifeprüfung mit Hilfe der Bundeswehr zunächst in die Ferne. Da es mangels der notwendigen körperlichen Voraussetzungen für die erträumte Piloten-Karriere nicht reichte, schlug der Abiturient die Laufbahn des Raketenelektronikers ein. Eine Ausbildung, die Glaeser zunächst für anderthalb Jahre in die USA ins texanische El Paso („Die schönste Zeit meines Lebens“) verschlug. Der Beginn einer Amerika-Leidenschaft, die bis heute anhält.
Nicht nur, weil eine seiner beiden Töchter mit ihrer Familie im Staate New York lebt und Glaeser somit zu regelmäßigen Besuchen jenseits des Atlantiks weilt, sondern der Bezirksbürgermeister lebt bis heute seine Leidenschaft auch in Form amerikanischer Autos aus. „Die sind einfach nicht kaputt zu kriegen“, nennt er aktuell eine silberfarbene Chrysler-Karosse sein Eigen. Bevorzugt parkt er das imposante Vehikel mit dem markigen Kennzeichen HA - G 1 an Straßenecken, wo eigentlich der Abschleppwagen eingreifen müsste. Schwamm drüber – bei der heutigen Verdienstkreuz-Dekorierung handelt es sich schließlich um keine Seligsprechung . . .
Nach seiner sechsjährigen Bundeswehrzeit setzte der Oberleutnant, der nach dem US-Aufenthalt in Aachen als Ausbilder bei der Flugabwehrschule der Luftwaffe seinen Sold verdiente, auch in der Berufswelt auf perfekte Zackigkeit. Seine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann absolvierte er bei Briefmarken Barkemeier in der Kampstraße und übernahm schließlich 1978 aufgrund bester persönlicher Kontakte den Laden des Mitbewerbers Wolfgang Engbers am Friedrich-Ebert-Platz. „Dafür habe ich nicht nur meine private Briefmarkensammlung verkaufen müssen, sondern bin parallel auch sieben Jahre in Hagen Taxi gefahren.“ Ein prägender Job direkt am Puls seiner Heimatstadt.
Mit dem Wechsel in die Selbstständigkeit stellte der Kaufmann auch seine privaten Weichen, indem er die Engbers-Nichte Carla nicht nur als seine wichtigste berufliche Begleiterin, sondern vor allem als die Liebe seines Lebens zu schätzen lernte. „Carla hat mir immer den Rücken freigehalten, denn ich war nicht nur zu Auktionen viel unterwegs.“ Glaesers hohe Fachlichkeit sorgte dafür, dass die Prüfungskommission zur Bestellung von Sachverständigen für das Fachgebiet Briefmarken bei der SIHK in Hagen angesiedelt wurde. Gleichzeitig gilt er auch als Vater der Dachorganisation „Allgemeine Postwertzeichen-Händler-Verband e.V.“, was ihm höchste Ehren-Auszeichnungen der Branche einbrachte.
Der Rat als Tabuzone
Zur CDU und damit zur Lokalpolitik fand Glaeser erst in der 80er Jahren, als er in der Ortsunion Mittelstadt die Rolle des stellvertretenden Schriftführers übernahm. „Ein Traumjob“, blickt der 70-Jährige heute augenzwinkernd zurück und erzählt im nächsten Atemzug, wie er schrittweise – mal gewollt, mal durch Zufälle – die Parteistufen hinaufschlitterte. Dabei betrachtete er immer die Bezirksvertretung Mitte als seine politische Spielwiese – erst als stellvertretender Bezirksvorsteher hinter Heinrich Sander (SPD), inzwischen in der dritten Legislaturperiode als Bezirksbürgermeister. Der Rat blieb für ihn hingegen immer Tabuzone: „In den Zirkus wollte ich auch gar nicht rein.“ 2014 soll allerdings endgültig Schluss sein. „Dann bin ich 28 Jahre dabei – das ist mehr als Silberhochzeit“, möchte der dreifache Großvater dann auch aus seinem Geschäft am Ebert-Platz aussteigen.
Das Verdienstkreuz 1. Klasse (Verleihung: 15.30 Uhr, Rathaus, Raum A.202) bildet heute den perfekten Ritterschlag für einen Politiker, der seine Heimatstadt mit all ihren Besonderheiten und Typen liebt und es immer als Herausforderung betrachtet hat, sich für die Menschen entlang der Volme voll einzubringen. Und eine Ordensurkunde, die obendrein noch die Unterschrift von Kurzzeit-Bundespräsident Christian Wulff trägt, erscheint mehr als passend: Schließlich gleicht das Dokument angesichts des Seltenheitsgrades beinah der Blauen Mauritius...