Hagen-Altenhagen.

Es klingt beinah nach den Taten jenes Mannes, der vor etwa 2000 Jahren im fernen Galiläa durch sein heilvolles Wirken von sich reden machte: Taube können wieder hören. Das für ganz Südwestfalen verantwortliche Cochlear-Implant-Zentrum am Altenhagener St.-Josefs-Hospital lässt diese medizinische Unglaublichkeit zur Realität werden. In der zur Dreieckstraße umgezogenen Hals-Nasen-Ohren-Klinik wurde die dafür notwendige Innenohrprothese im vergangenen Jahr bereits 20-mal eingesetzt – ein Eingriff, der bislang oft nur Universitätskliniken vorbehalten blieb.

Der strubbelige Schnauzbart von Chefarzt Prof. Dr. Armin Laubert nimmt beinah Haltung an, wenn er mit mahnend erhobenem Zeigefinger den Philosophen Immanuel Kant zitiert: „Blindheit trennt von den Dingen – Taubheit von den Menschen.“ Seine an den Uni-Kliniken in Hannover und Freiburg angeeignete Operationskunst ermöglicht es Menschen, die selbst mit den ausgereiftesten Hörgeräten den Kontakt zur akustischen Welt verlieren, wieder Geräusche wahrzunehmen, Gespräche zu führen oder sogar wieder Musik zu hören.

Umbau für 2,5 Millionen Euro

Mit dem Umzug der HNO-Klinik vom Marien-Hospital in das ehemalige Vincenz-Haus wurde für die 60-köpfige Abteilung für einen Umbau-Invest von etwa 2,5 Millionen Euro optimale räumliche Bedingungen geschaffen, Spitzenmedizin abseits der großen Gesundheitsfabriken direkt vor der Haustür anzubieten. „Ein interdisziplinäres medizinisches Highlight, das gleichzeitig optimal operative und stationäre Versorgung mit anschließender ambulanter Nachsorge und Rehabilitation verzahnt“, erinnert Norbert Schoop, Geschäftsführer der katholischen Krankenhaus GmbH, daran, dass damit auch die Bündelung sämtlicher schneidenden Disziplinen des auf drei Standorte verteilten Hospitals nach 13 Jahren der Umstrukturierungen abgeschlossen sei.

„Wenn die Patienten nicht mehr in der Lage sind, mit ihrem auf Maximalleistung laufenden Hörgerät zu telefonieren, wird es Zeit, über ein Cochlea-Implantat-System nachzudenken“, erläutert Laubert. Dann seien die Haarzellen in der Innenohrschnecke so defekt, dass sie keinerlei Schwingungsbewegungen in elektrische Impulse für den Hörnerv mehr umwandeln könnten. Eine Rolle, die das unter der Haut auf der Schädeldecke eingesetzte Implantat in Kombination mit einem hinter dem Ohr angebrachten Prozessor übernimmt .

„Wir sind also letztlich in der Lage, ein Sinnesorgan zu ersetzen“, vergleicht Laubert die Umwandlung von Sprache in elektrische Signale für den Hörnerv mit der Transformation von Melodien in schnöde MP3-Fragmente. Der Eingriff selbst dauert nur gut zwei Stunden, wobei schon während der Vollnarkose-Operation über Reflexe gemessen wird, ob die neuen Signal den Hörnerv auch tatsächlich reizen.

Eine Frage der Motivation

Wer für einen solchen Eingriff geeignet ist, hängt nicht nur von der medizinischen Indikation, sondern auch von der sozialen Prognose sowie der persönlichen Bereitschaft ab, sich dieser neuen Form des Hörens stellen zu wollen. „Für uns zählen nicht nur audiologische Kriterien, sondern auch die Rehafähigkeit des Patienten, seine Fitness und Motivation. Daher stellen wir vorher auch eine interdisziplinäre Prognose, ob sich mit einem Cochlea-Implantat tatsächlich der soziale Rückzug eines Menschen aus seinem Alltagsleben aufhalten oder sogar umkehren lässt“, verweist Prof. Laubert auf die nicht minder wichtige Anschlussaufgabe, der nach dem operativen Eingriff seine Mitarbeiterinnen Andrea Breinhild-Olsen (Klinische Linguistin und Audiotherapeutin) sowie Nunzia Tekampe (Diplom-Sprachheilpädagogin) sich stellen.

Erst vier Wochen nachdem das Implantat eingeheilt ist – der Patient kehrt bereits vier bis fünf Tage nach dem Eingriff wieder nach Hause zurück –, wird der Sprachprozessor außen angesetzt und es beginnt der Hörlernprozess. Zunächst werden die Elektroden angepasst, die Frequenzen gewichtet und die Lautstärke einreguliert. „Manche Patienten empfinden die plötzlich wieder wahrnehmbaren Geräusche zunächst als unangenehmen Lärm“, weiß Andrea Breinhild-Olsen, dass es einer gewissen Eingewöhnungsphase bedarf. „Das eigentliche Training, das im ersten Vierteljahr wöchentlich stattfindet, hat das Ziel, das offene Sprachverstehen wieder herzustellen.“

Wieder Gespräche führen

„Dazu gehört auch ein Angehörigentraining“, erinnert Nunzia Tekampe, „denn die Patienten sollen ja nicht nur in der abgeschiedenen Ruhe bei uns in der Ambulanz lernen, sondern müssen auch in ihrem eigenen häuslichen Umfeld zurecht kommen.“ Die Mitmenschen müssen vor allem darauf achten, dass sie künftig nicht mehr so laut, dafür aber langsam und deutlich sprechen, damit die Träger eines Cochlea-Implantats sich in der für sie ja wieder völlig neuen Welt des Hörens orientieren können. „Zunächst sind es nur Geräusche und Worte, die die Patienten verstehen. Dann folgt das Satz- und Textverständnis“, beschreibt Nunzia Tekampe die Fortschritte. Nach etwa einem halbe Jahr sind die Patienten wieder in Gruppen dialogfähig, beherrschen also wieder das offene Sprachverstehen, ohne von Lippen ablesen zu müssen. Damit können sie sich auch in der normalen Berufswelt wieder voll einbringen. Als letzter Schritt im Rahmen der Rehabilitation schließen sich dann noch das Verfolgen von Radio- und TV-Programmen sowie Telefontraining an. Musikgenuss gilt am Ende als die therapeutische Königsklasse.

Aus der Isolation heraus

Bei hochgradiger Schwerhörigkeit ist heute sogar eine beidseitige Versorgung mit Cochlea-Implantat-Systemen vorstellbar. „Damit wird sogar das Richtungshören wieder möglich“, beschreibt Laubert den akustischen Effekt. Selbst in Kombination mit einem herkömmlichen Hörgerät ist der Einsatz der Innenohrprothese (Kostenpunkt: ca. 30.000 Euro) vorstellbar: „Unser Gehirn kriegt es hin, die unterschiedlichen Informationen der beiden Systeme zu einem einheitlichen Hörbild zusammenzufügen“, geht der Chefarzt davon aus, im kommenden Jahr in den optimierten neuen Räumlichkeiten deutlich mehr Patienten aus Hagen, dem Bergischen, dem Märkischen Kreis sowie dem Hochsauerlandkreis mit modernster Hörtechnik versorgen zu können. Dann können selbst Taube – ganz im Sinne von Kant – wieder aus ihren akustischen Isolation heraus zu den Menschen zurückfinden.