Hagen-Mitte. . Die Umgebung des Hauptbahnhofs leidet unter Säufern und Randalierern. Passanten werden belästigt oder bespuckt, nachmittags, wenn der Promillespiegel Schwindel erregende Höhen erreicht hat, grölen und keifen die saufenden Horden hemmungslos durcheinander. Die Behörden sind hilflos.

Als Dr. Joachim Schaaf den Trunkenbold, der da so ungeniert in den Flur der orthopädischen Praxis am Graf-von-Galen-Ring pinkelte, aufforderte, das Gebäude zu verlassen, wurde er angegriffen. Der Alkoholiker, sogleich unterstützt von einigen seiner Zechkumpane, ging auf den Arzt los und schnipste ihm eine Zigarette ins Gesicht. Nur mit Mühe entkam Schaaf der brenzligen Situation.

„Ach wissen Sie, wir hatten auch schon Drogenhändler hier um die Ecke, aber die Polizei scheint das nicht zu interessieren “, winkt der Mediziner ab. „Manchmal kommt es mir vor, als sei der Graf-von-Galen-Ring ein rechtsfreier Raum.“

Haarsträubende Szenen

Täglich spielen sich auf dem Bürgersteig und dem gegenüber befindlichen Berliner Platz haarsträubende Szenen ab. Das Hagener Trinkermilieu hat die Gegend um den Hauptbahnhof zum Treffpunkt erkoren und hält dort Gelage ab - mit widerwärtigen Begleiterscheinungen: Wenn einen der Alkoholiker ein menschliches Bedürfnis drückt, erleichtert er sich im Parkhaus, in einer Einfahrt, einem Hinterhof oder eben gleich im Eingangsbereich eines Arzt- oder Geschäftshauses.

Passanten werden belästigt oder bespuckt, nachmittags, wenn der Promillespiegel Schwindel erregende Höhen erreicht hat, grölen und keifen die saufenden Horden hemmungslos durcheinander. „Wir fühlen uns hier regelrecht belagert“, sagt der Kinderarzt Dr. Stephan Mönninghoff. „Mütter und ihre Kinder werden auf dem Weg in meine Praxis angequatscht, angegrapscht und angebettelt. Und auch was sonst geschieht - es ist ekelhaft.“

Jahrelang vertröstet

Wie sein Kollege Schaaf ist Mönninghoff von den Saufbrüdern schon tätlich angegriffen worden. Seit Jahren plädieren die Anwohner, Ärzte und Geschäftsbetreiber unter den Arkaden am Galen-Ring dafür, die Trinker zu vertreiben, seit ebenso vielen Jahren werden sie von den Behörden vertröstet. Solange die Zecher sich ruhig verhalten, haben Ordnungsamt und Polizei keine Berechtigung einzugreifen, Alkoholgenuss in der Öffentlichkeit ist ohnehin grundsätzlich erlaubt. „Derlei Szenarien findet man in jeder größeren Stadt“, sagt Hans Sporkert vom Ordnungsamt. „Wir sind an Recht und Gesetz gebunden.“

Ab und an, wenn einer der Gewohnheitstrinker zu randalieren beginnt, ereilt ihn ein Platzverweis. Nach wenigen Tagen ist er wieder da. Über 50 Personen aus dem Milieu bevölkern an manchen Tagen das einst vornehme Bahnhofsviertel, nahezu alle verfügen über einen festen Wohnsitz und Geld - zumindest soviel Geld, um sich mit Spirituosen einzudecken.

Zwar unterhält die Polizei eine Wache mit gut zehn Beamten am Bahnhof, doch dem trinkenden Klientel stehen die Ordnungshüter nahezu machtlos gegenüber: „Wenn jemand in der Öffentlichkeit uriniert, können wir nicht mehr tun, als auf die Gebietsordnung der Stadt zu verweisen“, berichtet Polizeidirektor Dr. Bernd Liedtke. „Es handelt sich hier um ein stadtgesellschaftliches Problem, das nicht von der Polizei gelöst werden kann. Wir tun, was wir tun dürfen und tun können.“

Arbeitskreis beschlossen

Derweil haben die im Sozialausschuss vertretenen Kommunalpolitiker beschlossen, einen Arbeitskreis ins Leben zu rufen. Dort sollen Mitglieder von Politik, Polizei, Ordnungsamt, Gesundheitsamt und Sozialamt beraten, was gegen die Auswüchse am Bahnhof unternommen werden kann.

Denn nicht wenige der normalen Bürger, die in Bahnhofsnähe leben oder arbeiten, fühlen sich vom Staat im Stich gelassen. Vor allem alte Menschen haben Angst, sich durch das nach Schnaps und Erbrochenem riechende Spalier krakeelender Figuren unter den Ring-Arkaden zu bewegen.

Dr. Joachim Schaaf erlebt immer wieder hanebüchene Situationen. Neulich habe eine Frau aus dem Milieu ein Geschäft um die Ecke verlassen, als der Diebstahlsensor Alarm schlug. Die Kassiererin habe die Frau aufgefordert, ihre Tasche vorzuzeigen, woraufhin die Diebin ungerührt geantwortet habe: „Sie haben gar kein Recht, das von mir zu verlangen.“ Daraufhin sei sie mit ihrer vermutlichen Beute fortgegangen und die Kassiererin an ihren Platz zurückgekehrt.

Gegen diese Art von Dreistigkeit, so Schaaf, der Zeuge des Vorfalls war, sei offenbar nichts auszurichten.