Hagen.

Einst fuhr Christian Wie­necke aus Haspe regelmäßig mit dem Zug. Nahezu täglich pendelte er mit der S-Bahn von Hagen zur Uni Wuppertal, wo er Wirtschaftswissenschaften studierte. Bis er schließlich erstmals einen ICE nutzen wollte. Seitdem, sagt Wienecke, fährt er nur noch im äußersten Notfall mit der Bahn.

Christian Wienecke ist 24, er schreibt an seiner Diplomarbeit. Thema: Wettbewerbsforschung und Konkurrenzanalyse. Das mögen Begriffe sein, die in der wettbewerbs- und konkurrenzlosen Welt der Deutschen Bahn AG wie Fremdwörter klingen, oder wie sonst ist es zu erklären, dass der Konzern, der auf vielen Strecken nach wie vor ein Monopol besitzt, so häufig mit Verspätungen und Zugausfällen Schlagzeilen macht.

Christian Wienecke hatte ein mehrwöchiges Studienpraktikum samt Sprachkurs in Sao Paulo ergattert, er wollte um 22.40 Uhr von Frankfurt aus nach Brasilien fliegen; zum Flughafen Frankfurt wiederum sollte es mit der Bahn gehen. Wienecke besorgte sich ein Rail-&-Fly-Ticket, und dann begannen die Schwierigkeiten. „Das war schon mehr als abenteuerlich“, sagt er.

Anschlusszug verpasst

Zunächst fiel der Regionalexpress von Hagen nach Köln-Deutz aus, woraufhin der Student mit halbstündiger Verspätung einen ICE nehmen musste. Das führte dazu, dass er den Anschlusszug in Deutz verpasste und bis zum Kölner Hauptbahnhof weiterfahren musste. Fortsetzen wollte er seine Reise mit dem ICE 603: „Der war mit 15 Minuten Verspätung angekündigt, dann mit einer Stunde. Schließlich hieß es, er komme gar nicht.“

Also orientierte sich Wienecke um und versuchte, den ICE 129 zu nehmen, der planmäßig um 19.20 Uhr abfahren und um 20.13 Uhr in Frankfurt ankommen sollte. Es blieb beim Versuch, denn der Zug, der ohnehin mit zwölf Minuten Verspätung eintraf, fuhr nicht ab. Wienecke fragte nach beim Bahnpersonal, im Geiste sah er seinen Flieger schon davonrauschen, das teure Ticket verfallen. Und tatsächlich bekam er zur Antwort, die Bahnstrecke nach Frankfurt sei gesperrt, der Zug würde frühestens in zwei Stunden starten. Es bestehe keine Möglichkeit mehr für ihn, rechtzeitig am Frankfurter Flughafen zu sein, beschied man dem konsternierten Studenten.

Letzte Chance

Wienecke sprang entsetzt aus dem Zug, er ist Student, er kann sich nicht mal eben per Taxi durch halb NRW und Hessen chauffieren lassen. Erst als ihm sein Vater, den er anrief in seiner Not, bestätigte, dies sei die letzte Chance, um die Maschine nach Brasilien noch zu erreichen, legte er die Fahrt von Köln nach Frankfurt in einer Taxe zurück. „Das hat mich 250 Euro gekostet.“

Geld, das er nun, nach seiner Rückkehr aus Südamerika, von der Bahn zurückhaben möchte: „Das kann man doch nachvollziehen, oder?“ Doch der Konzern ziert sich, so einfach sei das nicht mit den Ansprüchen auf Rückerstattung, heißt es dazu aus der Konzernzentrale in Berlin. Die Pressestelle verweist auf die grundsätzlichen Entschädigungsbestimmungen bei der Bahn, ein Konvolut haarspalterischer Regelungen, das offenbar in erster Linie dazu dient, den Fahrgast von einer Regressforderung abzuschrecken.

Rail & Fly

Im Fall von Christian Wie­necke komme noch hinzu, dass die Bahn nicht zuständig sei. Wie bitte? Doch, doch, die ICEs gehörten natürlich der Deutschen Bahn, aber Herr Wienecke sei mit einem Rail-&Fly-Ticket gefahren, er müsse die verspäteten und ausgefallenen Züge bei der Fluggesellschaft reklamieren. Und, nun ja, Herr Wienecke habe die Reise ja auch abgebrochen, statt im Zug abzuwarten. Und dass er auf keinen Fall mit seinem Namen in der Zeitung zitiert werden möchte, sagt der Pressesprecher noch.

Wie Wettbewerb und Konkurrenz scheint auch Kulanz ein Fremdwort in der Welt der Bahn zu sein. Christian Wienecke hat jedenfalls seine Lehren aus dem Zugdebakel gezogen: „Ich habe zwar kein Auto, aber in einen Zug steige ich nur noch, wenn es gar nicht anders geht. Ich nutze jetzt Mitfahrzentralen und Fahrgemeinschaften.“