Hagen.

Die Ampel zeigt rot? Da wird der Vordermann schnell noch überholt. Von der Geradeausspur fix nach links abbiegen? Kein Thema. Auch der Sprint vom Emilienplatz Richtung Innenstadt gelingt. Die Tachonadel schießt deutlich über die erlaubte 30 hinaus. Egal. Straßenverkehrsregeln scheinen zu Empfehlungen zu verkommen – ein Bauchgefühl, dass hinterm Steuer aufkommt.

Jemand, der die Erosion von Sitte und Anstand hinterm Steuer seriöser betrachtet ist Michael Hoffmann. Er tut das qua Amt. Hoffmann leitet als Polizeioberrat die Direktion Verkehr in Hagen. Er wiegt den Kopf hin und her. Schließlich sagt er: „Da ist viel subjektives Empfinden dabei, dass es aggressiver auf der Straße zugeht.“ Allerdings, schiebt er gleich hinterher, hätten wir es in Hagen im landesweiten Vergleich mit einem besonderen Phänomen zu tun. „Es besteht eine ausgesprochen hohe Unfallhäufigkeit.“ Im Schnitt rummst es 7 000 Mal im Jahr, 5 000 Mal bleibt’s bei Blechschäden.

Ist die hohe Zahl ein Zeichen von zunehmender Rücksichtslosigkeit im Verkehr? „Wir haben frühzeitig begonnen“, erklärt Hoffmann, „Unfälle auszuwerten.“ In der zweiten Etage im Polizeipräsidium untersuchte man verschiedene Ansätze: Die vielen Pendler mit EN, MK oder HSK auf dem Kennzeichen sind Schuld. Hoffmann schüttelt den Kopf.

„Die sind zwar auch involviert, aber der Hagener produziert seine Unfälle zum Großteil selbst.“ Überzeugender ist da: In der City, wo ein dichtes Straßennetz besteht, wo viele Autofahrer aufeinander treffen, passieren viele Unfälle.

Als Ursachen machten Hoffmann und seine Kollegen aus: Fehler beim Abbiegen und Wenden im Falle der Blechschäden, bei Unfällen mit Verletzten ist es die Geschwindigkeit – mitunter die überhöhte.

„Da spielt schon rein, dass die Menschen nicht aufeinander aufpassen, unachtsam sind.“ Das müsse nicht immer böswillig motiviert sein. „Viele sind sicher überfordert. . .von der Verkehrsführung, von der Verkehrsdichte.“

Es gibt sie aber auch, die erhöhte Gewaltbereitschaft. „Das ist allerdings kein Phänomen allein im Straßenverkehr, sondern ein gesamtgesellschaftliches.“ Ein Phänomen, das Wirkung zeigt: Die zwar absolut niedrige Zahl von sogenannten Aggressionsdelikten, also Prügeleien unter Autofahrern oder auch gegen Polizeibeamte, nimmt seit ein paar Jahren zu. „Es mangelt an Respekt voreinander“, findet Hoffmann. „Leute sind ungeduldiger und überholen einen, wenn man sich an die vorgeschriebene Geschwindigkeit hält, gilt man als Verkehrshindernis“, beobachtet er.

Konsequenzen zieht die Behörde in jedem Fall aus den vorliegenden Zahlen. Es wird kontrolliert: Tempo, Gurtpflicht, Alkohol. Die drei Faktoren spielen die größte Rolle dabei, wie schlimm der Unfall ausfällt. Dafür haben die Beamten ihre Strategie geändert. Es wird überwacht und vor Ort geahndet. „Das hat auch Signalwirkung für vorbeifahrende andere Autofahrer“, ist sich Hoffmann sicher. Rund 1 500 Temposünder werden pro Monat in Hagen auffällig.

An die richtigen Raser geht die Polizei noch mal extra dran. Zurzeit läuft eine nächtliche Kampagne: Vor allem an der Becheltestraße wird gemessen. „Dort kassieren wir reihenweise Führerscheine“, erzählt Hoffmann. Angetrieben dazu hat die Polizei der Unfall am Landgericht, bei dem ein Rentner von einem stadteinwärts jagenden, jugendlichen Fahrer regelrecht umgemäht wurde.