Hagen.
Hagen als Zentrum der Welt und das sogar auf der Landkarte: Im gemeinsamen Buch von Schülern des Albrecht-Dürer-Gymnasiums und Wissenschaftlern der Fernuniversität ist die Volmestadt Dreh- und Angelpunkt vieler Lebensgeschichten.
„Wir kommen alle nicht von hier“, stellte Geschichtslehrerin Barbara Joswig gestern bei einer Pressekonferenz an der Fernuni das erstaunliche Ergebnis des gemeinsamen Projekts vor. „Wir sind fast alle Eingewanderte, manchmal in der Eltern-Generation, manchmal in der Großeltern-Generation.“ Das haben die Forschungen der ehemaligen Klasse 9b ergeben, die inzwischen das erste Jahr der Oberstufe fast hinter sich hat. Zwei Jahre lang zeichneten die Gymnasiasten für die gemeinsame Publikation mit der Fernuni, „Global-Lokal – Migration und Identität“ lautet der Titel, die Migrationsbewegungen ihrer Familien in Worten und Karten nach. Im Geschichtsunterricht und in der Freizeit arbeiten sie zunächst mit Skepsis, dann mit Begeisterung an ihrem eigenen Buch. „Das hat richtig viel Durchhaltevermögen erfordert“, sagt Barbara Joswig.
Wer ist meine Familie? Woher komme ich? Diese Ausgangsfragen brachten spannende persönliche Geschichten zum Vorschein: Schicksale aus der Kriegs- und Nachkriegszeit, Erzählungen von Evakuierung und Vertreibung. „Wir haben die Geschichte von Verwandten zurückverfolgt und Stammbäume angelegt“, erklärte Schülerin Alessa de Vries. Für jede Generation entstand eine geografische Karte mit Hagen als Zentrum: eine NRW-, Landes-, Europa- oder Weltkarte, je nachdem.
Der 16-jährige Amir Ese erfuhr die Geschichte seines Vaters, der 1991 vom Balkan nach Hagen kam. „Das Projekt hat den Anstoß gegeben, genau nachzufragen“, blickt er zurück. „Ich habe festgestellt, wie interessant es ist, die eigenen Wurzeln zu erforschen.“
Neben der Migrationsbewegung wird auch das Alltagsleben in der Generation der Großeltern beleuchtet. Mara Graf etwa setzte sich mit dem Thema Mode auseinander und befragte dazu ihre Oma. „Ich finde es interessant, wie man sich in der Nachkriegszeit beholfen hat“, sagt sie.
Wissenschaftlich begleitet wurden die Schüler vom Institut für Geschichte und Biografie der Fernuni. „Für uns ist es interessant, wie die ganz junge Generation über Geschichte denkt. Das wirft einen neuen Blick auf Hagen“, sagt Betreuerin Dr. Eva Ochs. Projektleiter Professor Reinhard Wendt nannte als zentrale Erkenntnis unter anderem die Vielfalt von Gründen, „die Menschen dazu bringt, ihren Wohnort zu verlassen.“ Die Sachlage sei daher nicht so einfach zu bewerten, warb er für eine Versachlichung aktueller Diskussionen, wie sie zuletzt etwa durch die Veröffentlichung von Thilo Sarrazin ausgelöst wurden.
Nach zwei Jahren Arbeit ist als Ergebnis ein ansprechend gestaltetes Büchlein geblieben. Voller persönlicher Geschichten, illustriert mit Karten, Zeichnungen und historischen Dokumenten. Entstanden ist aber auch ein gestiegenes Interesse am Geschichtsunterricht. „Das Projekt hat alle unheimlich beeindruckt“, sagt Lehrerin Barbara Joswig. „Historisches Arbeiten ist nun eine Selbstverständlichkeit.“
Das Buch „Global-lokal. Migration und Identität“ ist kostenlos erhältlich am Albrecht-Dürer-Gymnasium und am Institut für Neuere Deutsche und Europäische Geschichte der Fernuni. Kontakt: Dr. Eva Ochs, 9872540, eva.ochs@fern uni-hagen.de.