Hagen.
Vor vier Monaten stand die Zeit in Vorhalle plötzlich still. Zwei der drei Kirchturmuhren der Kreuzkirche an der Weststraße blieben einfach stehen - der Elektromotor streikte. Während viele Vorhaller kurzfristig das Zeitgefühl verloren, nutzte Pfarrer Hans-Peter Naumann die Gunst der stehengebliebenen Stunde. Er setzte auf den Faktor Zeit.
Es wäre kein Ding der Unmöglichkeit gewesen, die Instandsetzungskosten für zwei der drei Uhren aufzubringen. „Trotz knappen Haushalts hätten wir diese Investition schon irgendwie aus unseren überschaubaren Rücklagen stemmen können“, sagt Hans-Peter Naumann, Pfarrer in der Evangelischen Kirchengemeinde in Vorhalle.
Das Presbyterium der Kreuzkirchen-Gemeinde, die rund 2800 Mitglieder zählt, wäre ebenfalls bereit gewesen, das Geld für die Uhren in die Hand zu nehmen. „Aber ich habe mir gedacht, wir warten erstmal einfach ab, was passiert“, sagt Naumann, „ich hatte mir erhofft, das Kirchengebäude wieder mehr ins Bewusstsein der Menschen in Vorhalle zu rücken.“
Durchgängig viertel vor vier
Bei vielen Vorhallern sorgte der Stillstand auf dem Kirchturm zu Jahresbeginn tatsächlich für Unbehagen. „Wer schon mal in Vorhalle unterwegs war, weiß, dass man eine der drei Uhren von fast überall aus dem Stadtteil sehen kann“, sagt Naumann. An der guten Sicht hat sich bis heute auch nichts geändert. Allerdings verwirrte die falsche Uhrzeit viele Bürger - seit Februar war es durchgängig viertel vor vier. Naumann: „Auch wenn viele Menschen Uhren tragen oder Handys dabei haben, irgendwie gehört der Blick hinauf zum Kirchturm in Vorhalle einfach dazu.“
Dass die Uhr nicht zügig neu gestellt bzw. repariert wurde, ließ viele Gemeindemitglieder zum Telefonhörer greifen. „Viele Leute wollten wissen, was los sei und wie es weitergeht“, sagt Naumann, „und irgendwann flatterten dann die ersten Spenden rein.“ Ein Drittel der Reparaturkosten von rund 3500 Euro wurde aus der Haushaltskasse bezahlt. Den Rest spendeten Vorhaller Bürger. „Das zeigt, wie groß die Identifikation mit unserer Kirche ist“, freut sich Naumann. In den nächsten Tagen werden neue Uhrzeiger auf dem Turm angebracht, die Uhren werden dann wieder richtig ticken.
Menschen fingen an, Geld zu überweisen
Es war genau der Effekt, den er sich mit seiner abwartenden Haltung erhofft hatte. Nicht, dass die Menschen anfingen Geld zu überweisen, sondern, dass sie begannen über ihre Kirche nachzudenken. „Die Kreuzkirche ist 102 Jahre alt. Sie war immer ein Teil Vorhalles. Hier haben sich viele Geschichten abgespielt“, sagt Naumann, der uns beim Ortstermin spontan mit in die Kirchturmspitze hinauf nahm. „Wer diesen tollen Ausblick mal genießen möchte oder mal in den Glockenturm möchte, kann mich gerne anrufen“, sagt er.
Ohnehin würde er sich über noch mehr Ideen freuen, was man mit dem geräumigen Gotteshaus an der Weststraße noch so alles anfangen könnte. Die Kirche hat eine Kapazität für etwa 750 Besucher. „So viele Menschen kommen höchstens an Weihnachten“, sagt Naumann. Bei normalen Gottesdiensten säßen 60 bis 70 Gemeindemitglieder in den Bänken. Das sei „ordentlich“ im Vergleich zu anderen Evangelischen Gemeinden, sagt der Pfarrer.
Raum ist ein wichtiges Stichwort in der Kreuzkirchengemeinde in Vorhalle. Innerhalb der nächsten zwei bis drei Jahre müsse man „ernsthaft“ überlegen, ob man sich vom Gemeindehaus an der Vorhaller Straße trennen müsse. „Die energetischen Kosten steigen uns über den Kopf. Irgendwann müssen sich die Menschen in der Gemeinde entscheiden, ob sie ein Gemeindehaus oder eine Kirche haben wollen“, sagt Naumann. Deshalb ist der Pfarrer für Ideen zur räumlichen Umstrukturierung - auch innerhalb der Kreuzkirche - dankbar. Naumann: „Wir können über alles reden. Notfalls bauen wir auch um.“