Hagen. .

Über dem Kleingärtnerverein Sonnenberg wehen die Fahnen im Wind: Dortmund, Schalke, Deutschland. Und eine bayerische, von der Märchenkönig Ludwig II. entschlossen auf den Kuhlerkamp herabblickt.

Neben dem Fahnenmast sitzt Siegfried Ziarnetzky – kurze Hose, nackter Oberkörper – und wässert Erbsen. „Bei dem trockenen Boden sollte man das vor dem Pflanzen machen“, erklärt der 61-Jährige. Als Kleingärtner hat man momentan alle Hände voll zu tun. Der wochenlange Sonnenschein hat Spuren auf dem Körper des gebürtigen Bayern hinterlassen: „Siggi“ ist knackbraun. Kein Wunder, frönt er derzeit doch jeden Tag seinem Hobby, kümmert sich um Rhabarber, Bohnen und Erdbeeren, baut ein Tomaten-Gewächshaus oder säubert den Gartenteich. Einzig mit den Gurken lässt er sich noch etwas Zeit: „Die setzt man nämlich erst nach den Eisheiligen.“ Um es auf den Punkt zu bringen: Siegfried Ziarnetzky ist in seinem wenige hundert Quadratmeter großen Paradies rundum glücklich.

Seit fast 30 Jahren gehört der 61-Jährige dem Kleingärtnerverein Sonnenberg an und hat so manche Entwicklung mitgemacht. „Ganz früher“, erzählt er, „da gab es Wartelisten für die Gärten. Dann hatten wir eine Zeit lang einen Durchhänger, aber mittlerweile sind hier auch wieder viele Familien mit Kindern.“

Und das, obwohl demnächst die Bahnhofshinterfahrung direkt unterhalb der Anlage herführen soll. Doch davor ist Ziarnetzky nicht bange – die jahrelange Erfahrung hat ihn eines Besseren belehrt: „Ach wissen Sie, schon vor 30 Jahren hieß es, die Umgehungsstraße könnte kommen. Und auch der Varta-Schornstein sollte bereits mehrfach gesprengt werden. Passiert ist bisher nichts.“

Eine andere Sprengung avancierte hingegen zu einem Höhepunkt in der Geschichte des Kleingärtnervereins: Als dem „langen Oskar“ 2004 der Garaus gemacht wurde, besaßen die Gartenfreunde vom Kuhlerkamp einen kaum zu übertreffenden Blick auf das Geschehen. Dementsprechend hoch ging es in Ziarnetzkys Parzelle her: „Ich hatte Gäste und habe gegrillt. Als das Sparkassen-Hochhaus dann endlich fiel, war ich allerdings auf der Toilette.“

Auch seine Frau besitzt einen grünen Daumen, sie zeichnet für die Blumenpflege verantwortlich. Im Gegensatz zu dem Rentner befindet sich die Gemahlin aber noch im Berufsleben und kann dementsprechend weniger Zeit am Sonnenberg verbringen. Ziarnetzky nimmt’s gelassen. „Ne Frau zu Hause ist totes Kapital“, verkündet er lachend. Der Kleingärtner-Humor ist wie der Boden: trocken.

Dass sich das vermeintlich zarte Geschlecht in der einst von Männern dominierten Welt der Gemüsebeete aber längst emanzipiert hat, wird wenige Meter weiter deutlich. Sabine Barton ist als Fachberaterin so etwas wie die oberste Wissens-Instanz des Vereins. Allein im vergangenen Jahr belegte die 53-Jährige vier Lehrgänge und gibt ihren Nachbarn nun Tipps in allen gärtnerischen Lebenslagen: Baumschnitt, Einpflanzung, Veredelung. Und was eine echte Expertin ist, die zieht neben Kartoffeln, Kohlrabi und Äpfeln auch außergewöhnliche Pflanzen groß. In einem Ying-und-Yang-Beet wachsen Mond- und Sonnenkräuter wie Salbei oder Wermut. Der Boden besteht ausschließlich aus Schotter, bei dessen Transport alle Anrainer mit anpackten. „Unter Nachbarn hilft man sich“, nennt sie eines der ungeschriebenen Kleingärtner-Gesetze.

Das übrigens noch kurz zuvor seine Bestätigung fand: Sabine Barton verschenkte ein paar Pflanzen an die Eheleute Markwald von nebenan, die sich prompt mit einer Wurst revanchierten. Claus Markwald nennt seit fast 30 Jahren eine Parzelle am Kuhlerkamp sein eigen, denn der gelernte Autoschlosser ist keiner, der gern rumsitzt: „Ich muss immer was um die Hand haben.“ Und auch Gattin Anni (60), auf einem österreichischen Bauernhof aufgewachsen, kann sich so gar nicht vorstellen, die Tage nur in den vier Wänden zu verbringen: „Ich will raus und frei sein.“

Wie für die meisten Vereinskollegen, so ist der Gemüse- und Obstanbau auch für die Markwalds aber mehr Hobby denn wichtiger Beitrag zur Ernährung. Tomaten oder Salat könnten sie genauso gut für wenig Geld im Discounter kaufen. Warum man mit 63 Jahren trotzdem noch auf den Knien herumrutscht und die Beete pflegt, erklärt Claus Markwald mit wenigen Worten: „Man freut sich einfach, wenn das Zeug aus der Erde kommt.“