Hagen. Ein weiteres Stückchen deutscher Tradition droht peu à peu wegzubrechen. Einst wurden die Tante-Emma-Läden von Supermarktketten verdrängt. Vielen Wochenmärkten droht ein ähnliches Schicksal.
Elenore Thomas ist eine Hagener Institution. Seit 52 Jahren steht sie fast Tag für Tag um 3 Uhr morgens auf, setzt sich ans Steuer und fährt nach Dortmund auf den Großmarkt. Dann stellt sie sich in aller Frühe bei Wind und Wetter hinter ihren Obst-und Gemüsestand. Urlaub? „Habe ich noch nie gemacht“, schüttelt sie den Kopf. Selbst als sie einmal sehr schwer erkrankt war, fehlte sie nur ein paar Mal hinter der Theke. „Ich kann nicht anders. Ich lebe den Wochenmarkt“. Doch seit einigen Jahren beobachten Elenore Thomas und andere Markt-Händler, dass die Kundschaft an den neun Hagener Wochenmärkten immer weniger wird.
Einst herrschte lebendiges Treiben, jetzt ist nur noch wenig los
Besonders Besorgnis erregend ist die Situation in Helfe. Einst herrschte im Zentrum am Helfer Wochenmarkt ein lebendiges Treiben. Es gab zwei Obst- und Gemüsestände, einen Eiermann, einen Metzger, einen Bäcker, einen Geflügelhändler, einen Käsestand und einen Blumenverkäufer. Am vergangenen Dienstag standen Elenore Thomas und ihr Sohn dort fast allein auf weiter Flur. Nur ein türkischer Textilhändler hatte seine Produkte gegenüber ausgebreitet. „Das ist schon sehr traurig“, sagt die 76-Jährige. Wenn die Kundschaft ausbleibt, bleiben auch die Händler weg.
Es droht damit ein weiteres Stückchen deutscher Tradition peu à peu wegzubrechen. Einst wurden die Tante-Emma-Läden von Supermarktketten verdrängt. Vielen Wochenmärkten droht ein ähnliches Schicksal, auch wenn es vielerorts immerhin noch passabel läuft. Noch. Mit Abstand am besten besucht ist der samstägliche Wochenmarkt auf der Springe, bei dem einst bist zu 20 000 Besucher gezählt wurden. Er ist noch immer einer der größten Märkte in Südwestfalen. Auch der Markt in Boele floriert. Bei den restlichen Märkten stellen die Marktmeister, die für die Stadt die Wochenmärkte kontrollieren, einen Rückgang bei Besuchern und Standbetreibern fest.
Es ist überall schlechter geworden
Die Standgebühren, die in Hagen zuletzt im März des vergangenen Jahres erhöht wurden, sind für die Händler noch das geringste Übel. Es ist vor allem die Billig-Konkurrenz der Discounter und der Supermärkte, die zum Kaufkraftverlust beitragen. Ein zunehmend aussterbender Kundenstamm treibt die Krise der Wochenmärkte zusätzlich voran, hat Elenore Thomas beobachtet. Viele ältere Menschen, für die der wöchentliche Marktbesuch wie das Stückchen Buttercremetorte zum Kaffeekränzchen gehörte, sind mittlerweile körperlich kaum noch zum Wochenmarktbesuch in der Lage. „Und die jungen Leute essen doch fast nur noch Fertiggerichte“, klagt Elenore Thomas. Und wer doch mit frischen Produkten koche, greife viel häufiger ins Supermarktregal. „Die haben doch fast rund um die Uhr geöffnet“, sorgt sich die Hagenerin um die Zukunft ihrer Zunft. Ein Großteil der ausländischen Mitbürger kaufe darüber hinaus fast ausschließlich bei ihren Landsleuten ein. „Es ist überall schlechter geworden“, urteilt Elenore Thomas, die dienstags bis samstags in den unterschiedlichen Hagener Stadtteilen ihre Waren anbietet. Besonders akut ist die Lage aber in Helfe.
„Es könnte das letzte Aufbäumen für den Wochenmarkt in Helfe sein“, fürchtet auch die Ratsfrau und Vorsitzende der Ortsunion Helfe/Fley, Marianne Cramer. Mit den zwei Parteifreundinnen Margret Altrogge und Marianne Reichert warb sie am vergangenen Dienstag im Helfer Zentrum bei Bürgern für den Wochenmarkt. „Voraussetzung ist natürlich die Bereitschaft der Menschen auch wieder ihre Einkäufe am Marktdienstag zu tätigen.“
Wer will den Knochenjob des Markthändlers noch machen?
Wenn über kurz oder lang immer mehr Bürger den Wochenmärkten fern bleiben, wird es auch kaum Menschen geben, die den Knochenjob Markthändler zukünftig machen wollen. In den vergangenen Jahren konnte man an den Marktständen sehr gutes Geld verdienen. Wenn die Kunden aber weg bleiben, rollt der Rubel nicht mehr.
Das Wochenmarkt-Geschäft von Elenore Thomas wird auch weitergehen, wenn die rüstige 76-Jährige irgendwann nicht mehr tagtäglich im Einsatz ist. Vor einigen Jahren hat ihr Sohn Alfons das Geschäft übernommen. Der stand schon als Kind hinter der Theke – eine Ausnahme.