Wehringhausen. .
Es war ein pädagogisches Filmseminar, welches die Geschichtskurse der 12. und 13. Klasse vom Albrecht-Dürer-Gymnasium im Kulturzentrum Pelmke besuchen durften. Ermöglicht durch die Murnau-Stiftung wurden wir an den indizierten Nazi-Propaganda-Film „Jud Süß“ herangeführt.
In der Einführungsphase des Seminars gab es viele historische Informationen: Intentionen der Nazis, Infos zu den Schauspielern sowie zeitgenössische Eindrücke und Motive des Films. Michael M. Kleinschmidt, Medienpädagoge und Filmkritiker vom Institut für Kino- und Filmkultur hat uns Tipps gegeben, beim Schauen des Films ein Experiment zu wagen. Nicht unbedingt mit historisch, analytischen Blick sollten wir uns mit dem Film auseinander setzen, sondern auch probieren, uns in die Lage der zeitgenössischen Zuschauer zu versetzen.
Der Film vom Regisseur Veit Harlan kam 1940 in die Kinos, gesehen wurde er von 20 Millionen Deutschen, was heute kein Hollywoodstreifen schafft. Es geht um das Herzogtum Württemberg im 18. Jahrhundert. Der Jude Joseph Süß Oppenheimer gewinnt durch Zuwendung zum Herzog Karl Alexander sein Vertrauen. Der Herzog macht Schulden beim Geschäftsmann Oppenheimer, welcher nun das Recht einfordert, Straßenzölle in dem Fürstentum erheben zu dürfen.
Film spielt
mit Emotionen
Es geht Oppenheimer vor allem um eines: die persönliche Bereicherung. Bereits reich, verkörpert der Jude Oppenheimer eine überspitzte Gier, einen Machtanspruch sowie die Fähigkeit Menschen zu manipulieren. Diese Eigenschaften bilden den Grundstein für die Entwicklung des Films. Oppenheimer erhält nach der Einführung der Straßenzölle einen Freibrief vom Herzog, welcher ihm mehr Macht verleiht. Er verlangt letztlich, die Landesherren zu entmachten und es gelingt ihm den Herzog gegen das eigene Volk aufzuhetzen. Die Untertanen des Herzogs wettern schon lange gegen Oppenheimer. Sie wehren sich gegen den Herzog, beschuldigen ihn, die Verfassung gebrochen zu haben. Der Herzog stirbt in einem Wortgefecht an Herzversagen, Oppenheimer verliert seinen Verbündeten und wird letztlich von der feiernden Volksmasse hingerichtet.
Der Film erreicht vor allem die Emotionen der Zuschauer. Der Protagonist ist nicht nur geld- und machtgierig, sondern vergewaltigt auch noch die Tochter eines Landesherren, welche daraufhin Selbstmord begeht. Joseph Goebbels , Propagandaminister im Dritten Reich, äußerte zu der Entstehung jener Art von Filmen, dass die übermittelte Propaganda verschleiert werden soll und der Zuschauer das Gefühl erhalten solle, einen ganz normalen Spielfilm zu schauen.
Es ist für uns heute natürlich schwierig in einem solchen Film nicht auf der Seite des Juden zu stehen. Doch wer zu damaliger Zeit ohne jeglichen Hintergedanken den Film gesehen hat, konnte es kaum schaffen, keine Abneigung gegen den Bösewicht des Films, Josef Oppenheimer, zu entwickeln.
Wir reflektierten im dritten Teil des Seminars genau diesen Aspekt. Die Nazis versuchten durch gezielte Mittel, die Juden als ein schlechtes Volk darzustellen. Dazu zählen zum Beispiel Kontraste in der Filmmusik. Ein fröhliches deutsches Volkslied wird ein für viele Menschen komisch klingender jüdischer, nicht verständlicher Gesang entgegen gestellt.
Aufklärung
durch Abschreckung
Weiterhin werden drei jüdische Rollen von nur einem Schauspieler gespielt. Das Ziel: eine allgemein gültige Kategorisierung der Juden zu erreichen. Eine Vielzahl von Mitteln sollten die Massen also auf abschreckende Art und Weise „aufklären“. Ein weiteres Ziel der Nazis war es, den Spagat zwischen historischen Film und emotionalen Melodrama zu erreichen. Wer glaubt, dass der Film auf historischen Tatsachen beruht, hat gewissermaßen sogar Recht. In der Tat gab es einen jüdischen Finanzrat, der sein Amt im 18. Jahrhundert in Württemberg ausübte. Dieser wurde ebenfalls hingerichtet, allerdings aufgrund eines unfair durchgeführten Schauprozesses. Es werden von den Nazis folglich historische Eckdaten benutzt, um nach den eigenen Maßstäben die Geschichte gezielt zu verändern, um das Volk zu polarisieren, was vor allem durch den Suizid der vergewaltigten Frau gelingt.
Im Dritten Reich hat wohl niemand auf die historische Unkorrektheit geachtet. Warum auch, man wollte ja nur unterhalten werden. Der Film bietet eine Art von Meisterwerk im negativen Sinne, wenn man die geglückten Ziele des Josef Goebbels, der billigen Hetze gegen Juden betrachtet. So kamen wir in unserer Diskussionsrunde zu dem Ergebnis, dass der Film völlig zu Recht indiziert ist und nicht im Free-TV gezeigt werden sollte. In einer Art Seminar mit anschließender Reflexion kann so ein Film jedoch auch sehr aufschlussreich sein. Und man lernt mehr als in manch normaler Geschichtsstunde.