Hagen. Das Jugendamt hat immer mehr damit zu tun, überforderten Eltern unter die Arme zu greifen. Auch die Zahl der Fälle, in denen Kinder von ihren Familien getrennt werden müssen, ist stark gestiegen. Die Folge: Hagen gibt 2008 drei Millionen Euro mehr für Hilfen zur Erziehung aus als 2007.
Ursache sind Fälle wie die einer Mutter, die schwer psychisch erkrankt ist.
Die Frau drohte wiederholt damit, sich das Leben zu nehmen. Ihr prekärer Zustand ließ es nicht mehr zu, dass Sie sich um ihre zwei kleinen Kinder kümmern konnte. Das Jugendamt musste einschreiten und brachte die Kinder bei einer Bereitschaftspflegefamilie unter. Die Mutter wird in einer Psychiatrie behandelt.
„Sollte die Mutter bald wieder gesund sein, kann sie die Kinder vielleicht wieder zu sich nehmen”, sagt Christian Goebels, Leiter des Bereichs Erzieherische Hilfen. Die Stadt bemühe sich, Kinder unter sechs Jahren nicht in Kinderheimen unterzubringen, sondern bei Bereitschaftspflegefamilien. Weil die Zahl der vernachlässigten Kinder aber permanent steigt, gibt es mittlerweile nicht mehr genug Pflegeeltern. So bleibt auch manch kleinerem Kind ein Heimaufenthalt nicht erspart.
Bevölkerung sensibilisiert
Im Falle der psychisch kranken Mutter hatten Nachbarn das Jugendamt alarmiert - die Sensibilität in der Bevölkerung ist nach den schlimmen Fällen von Kindesmisshandlungen in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Außerdem arbeitet die Stadt seit 2007 enger mit Schulen, Tagesstätten und Jugendzentren zusammen - bei Verdachtsfällen wird das Jugendamt sofort informiert. Die Folge: Im ersten Halbjahr 2008 wurden bereits 157 Fälle von Kindeswohlgefährdung gemeldet. „Diese Zahl haben wir sonst in einem Jahr”, sagt Gerd Steuber, Fachbereichsleiter Jugend und Soziales. Bei 43 dieser Fälle bestand aus Sicht der Stadt kein Handlungsbedarf. 98-mal aber benötigten die Familien Beratung oder weitere Hilfen, 12-mal musste die Stadt die Kinder gar in Obhut nehmen. Diese Zahlen beinhalten nur die von außen herangetragenen Fälle - die Gesamtzahlen wurden noch nicht ermittelt, liegen aber deutlich höher.
Für Steuber bedeuten diese Statistiken aber nicht zwangsläufig, dass die Situation in den Familien schlimmer geworden ist. „Es ist eher so, dass das Dunkelfeld heller wird.” Eine weitere Ursache sieht er aber in der finanziellen Misslage, in der sich immer mehr Familien befänden.
Baby mit Oberschenkelbruch
Ob Geldnot auch ein Grund für die schockierende Tat war, die sich kürzlich im Allgemeinen Krankenhaus Hagen ereignete, liegt noch im Dunkeln: Ein drei Wochen alter Säugling musste mit einem Oberschenkelbruch behandelt werden. Untersuchungen ergaben, dass die Verletzung nicht von einem Sturz stammt, sondern Gewalt angewendet worden ist. Entweder der Vater oder die Mutter muss das Kind misshandelt haben - die Ermittlungen laufen. Ihr Baby werden die Eltern aber wohl nie wieder zu sich nehmen dürfen.
„Das ist natürlich ein krasser Fall, der zum Glück nur sehr selten vorkommt”, sagt Goebels, der seit 20 Jahren im Jugendamt tätig ist. Dass Eltern das Sorgerecht entzogen wird, kommt aber immer häufiger vor: 2007 stellte die Stadt 55 Anträge auf Sorgerechtsentzug, von denen 35 durchgesetzt wurden. „Das sind deutlich mehr Fälle als sonst”, betont Goebels. Auch die Gesamtzahl der Fälle, in denen die Stadt Hilfe zur Erziehung geben musste, ist von 2005 bis 2007 permanent gestiegen: von 882 auf 1089 Fälle.
16 Millionen Euro für Hilfen zur Erziehung
Die Stadt musste reagieren: In diesem Jahr wird sie 16 Millionen Euro für Hilfen zur Erziehung ausgeben - 2007 waren es noch 13 Millionen Euro. Acht neue Stellen schreibt das Jugendamt aus, und das Kinderheim Selbecke musste eine zusätzliche Gruppe einrichten. Der Sparkurs greift in diesem Bereich nicht, weil die Stadt verpflichtet ist, bei Verdachtsfällen aktiv zu werden.
So auch im Fall eines 14 Jahre alten Mädchens, deren Eltern schon lange vom Jugendamt unterstützt wurden. Immer wieder kam es zum Streit in der Familie. Die Zustände wurden unerträglich, als das Mädchen schwanger wurde. In der Mutter-Kind-Einrichtung in der Selbecke werden die Jugendliche und ihr Kind nun betreut. Eine weitere Zahl in der Statistik.