Hagen. .
Die Mauereidechse ist Deutschlands Reptil des Jahres 2011. Am Hengsteysee nutzt ihr dieser Titel allerdings wenig, denn dort wird gerade massiv in ihren Lebensraum eingegriffen. Und das sorgt für Unmut unter Naturschützern – die Telefonleitungen glühten, E-Mails wurden geschrieben und letztlich die zuständigen Ämter informiert.
Stein des Anstoßes ist in diesem Falle ein Fels, genauer gesagt die Ardeywand unmittelbar neben der Hengsteyseebrücke. Die steile Sandsteinwand, die sich wenige Meter auf Dortmunder Stadtgebiet befindet, wird momentan mit einem Drahtnetz überspannt, um (meist Hagener) Spaziergänger vor Steinschlag zu schützen. Spezialisten treiben 750 Ankernägel bis zu vier Meter tief in den Stein und fixieren die Nägel mit Beton. Daran wird das Drahtgeflecht befestigt, das sich schließlich eng an den Fels schmiegt.
Bedeuten die Arbeiten das Aus für die Art?
Doch genau diese Wand ist die Heimat der Mauereidechse – einer streng geschützten Spezies. Ein Schutz, den Michael Wünsch aufgrund der Bauarbeiten nicht mehr gegeben sieht. Schon vor Monaten warnte der NABU-Mann deshalb vor dem „Aus für die Art“.
Fraglich erscheint allerdings, ob auch die Hengsteyer Exemplare von Podarcis muralis, so der lateinische Name, den außerordentlichen Schutzstatus genießen. Denn hier handelt es sich um ganz besondere Tiere. Eigentlich besitzt die Mauereidechse in Deutschland ihre nördliche Verbreitungsgrenze nämlich auf der Höhe von Bonn – und käme in Westfalen somit gar nicht vor. Tut sie aber doch gleich an mehreren Stellen, weil das Reptil irgendwann eingeschleppt oder ausgesetzt wurde, gute Lebensbedingungen vorfand und kurzerhand blieb. So auch in diesem Fall: Am Klusenberg oberhalb des Sees wurden bereits in den 50er-Jahren Mauereidechsen gesehen, ein größeres Vorkommen auf den Ardeyfelsen ist seit den 80ern verbrieft.
Nun wäre Deutschland nicht Deutschland, gäbe es nicht auch für solche Sonderfälle gesetztliche Regelungen. Das Bundesnaturschutzgesetz sagt, Wirbeltiere müssten 25 Jahre und/oder drei Generationen an einem Ort leben und sich dort vermehren, um als eingebürgert zu gelten. Beides erfüllt die Mauereidechse am Hengsteysee – und genießt deshalb besonderen Schutz. Sollte man meinen. Denn manche Experten bezweifeln wiederum, dass diese Regelung auch auf Podarcis muralis zutrifft, da das Kriechtier als sehr anpassungsfähig gilt und relativ häufig fernab der eigentlichen Heimat auftaucht. Um es auf den Punkt zu bringen: Ausgerechnet dieses Reptil befindet sich in einer gesetzlichen Grauzone.
„Können sich mit dem Drahtnetz arrangieren“
Ulrich Schulte, Diplom-Biologe an der Uni Trier und ausgewiesener Mauereidechsen-Experte, glaubt ohnehin, „dass sich die Tiere durchaus mit dem Drahtnetz arrangieren können“. Allerdings mahnt der Wissenschaftler an, die Drahtnetze könnten von Pflanzen bewachsen werden, die kein Sonnenlicht mehr durchlassen. Doch genau das brauche die Mauereidechse in besonderem Maße für sich und die in Felsspalten abgelegten Eier. Deshalb empfiehlt Schulte, das Netz alljährlich im Frühjahr vom unerwünschten Bewuchs zu befreien.
Von einem Fortbestand der Vierbeiner auf dem Sandsteinfelsen geht zudem ein Fachbeitrag aus, den der Ruhrverband anfertigen ließ. Demnach würden die Echsen während der Arbeiten zwar kurz gestört, doch rasch würde sich wieder Normalität einstellen.
Podarcis muralis selbst weiß von all dem Rummel um ihre Person nichts, dürfte sich derzeit beim Verlassen des Winterruheplatzes in einer Felsspalte höchstens über die kreischenden Bohrer vor der Haustür wundern. Ob das Reptil letztlich mit der neuen Situation leben kann und es weiterhin Mauereidechsen am Ardeyfelsen gibt, wird ohnehin erst die Zukunft zeigen. Schlimmstenfalls ist Podarcis muralis dann nicht nur den Titel „Reptil des Jahres“, sondern auch seine Heimstatt los.