Oege. „Ich fühle mich allein”, sagt Ayhan Buharaleoglo und lächelt sanft. „Hoffnung? Nein. Die Hoffnung habe ich längst aufgegeben.” Er wolle keine Umstände machen, erklärt er und herzt Enkel Emre, der unbedarft durch die enge Stube tollt.
Seit 46 Jahren lebt Pensionär Ayhan Buharaleoglo im Osten Hohenlimburgs. Er arbeitete als Übersetzer für türkische Gastarbeiter, „malochte" im Schichtbetrieb, hier, kaum einen Steinwurf entfernt von der beschaulichen Mietwohnung mit Blick auf den Schlossberg. Seit drei Jahrzehnten kämpft er einen aussichtslosen Kampf — gegen die Fäulnis, die das Mauerwerk durchdringt, und gegen eine Hausverwaltung, die das Problem beharrlich ignoriert.
„Seit ich denken kann, grassiert der Schimmel” erklärt Melis Özen (30), die in der Piepenstockstraße aufwuchs. „Erst befiel der Pilz nur einen Raum, doch die Fäulnis breitete sich rasch aus.” Nachdem die moderige Fäule die Stirnseite der Decke bedeckte, avancierte das einstige Kinderzimmer zu einem Abstellraum, der aus Angst vor gesundheitlichen Schäden seither verwaist. Man bat zögerlich um Abhilfe, doch die Hausverwaltung vertröstete die Familie — und Ayhan Buharaleoglo schwieg. Mit Behelfsmitteln aus dem Baumarkt versuchte er, das Problem selbst zu lösen. Ohne Erfolg. Als Gattin Nazan im Frühjahr 2008 schließlich an Krebs erkrankte, handelte er. „Ich habe mich beschwert!”
Zeitgleich erwarb er einen Wäschetrockner, um seine kränkliche Ehefrau zu entlasten. „Nach all den Bestrahlungen konnte sie den Wäschekorb kaum anheben”, erklärt er. Als das Gerät geliefert wurde, nahm die Krankheit überhand, und Nazan Buharaleoglo verbrachte einen Monat im Krankenhaus. „Also blieb der Wäschetrockner vorerst originalverpackt”, erinnert sich Melis Özen, die just in dieser Phase einen Mitarbeiter der Hausverwaltung durch die Wohnung führte. Eine Woche später erhielt sie einen Brief, der ausgerechnet den Wäschetrockner für den seit Dekaden grassierenden Pilz verantwortlich machte. Das Gerät selbst war noch immer nicht in Betrieb.
Auch nach dem Verkauf der Immobilie an die „Kommunale Wohnen AG" (KWG) aus Hamburg hat sich niemand des Problems angenommen. Das Haus steht zum Verkauf, ebenso wie 36 Objekte in der Nachbarschaft. In der Not suchte Ayhan Buharaleoglo Hilfe — und wandte sich an Gerold Vogel, der vis-à-vis lebt. „Die KWG ignoriert die Probleme der Menschen und entzieht sich ihren Pflichten als Eigentümer", moniert Vogel, der schon im September eine ausführliche Mängelliste gen Hamburg sandte (wir berichteten). „Die KWG kennt die Mängel en detail", so Vogel. „Wir akzeptieren keine Ausreden!” Doch eine Reaktion blieb aus. Bis heute.
Kurzum ergriff Wolfgang Jörg die Initiative. Der heimische Landtagsabgeordnete wandte sich an SPD-Koryphäe Björn Engholm, Mitglied des KWG-Aufsichtsrates, und bat um Unterstützung. „Ich werde ihn in naher Zukunft persönlich über die Zustände informieren", so Jörg.
Gemeinsam mit Gerold Vogel suchte er das Gespräch mit geprellten Mietern. Die Geschichte Ayhan Buharaleoglos berührte ihn sichtlich. „Da geht mir die Hutschnur hoch”, so Jörg. „Die Chemotherapie schwächt das Immunsystem ohnehin sehr, und trotzdem lässt man die Menschen in einer Wohnung zurück, die mit Pilzsporen kontaminiert ist.” Der trockene Husten, der Nazan Buharaleoglos seit Wochen plagt, sei „ein deutliches Zeichen dafür, dass die Gesundheit der Menschen auf dem Spiel steht.”
Der Rundgang in Oege, so Jörg, offenbare ein untragbares Elend: „Man lässt die Leute hier hängen. Die Mieter dichten Fenster mit Handtüchern ab, und die Kinder spielen auf maroden Spielplätzen und in dreckigen Sandkästen. Die Balkone sind morsch, das Geländer ist brüchig, die Gehwege sind baufällig.” Gerold Vogel vermutet, dass man durch eine „eiskalte Verzögerungstaktik" gezielt Mieter verprelle, um sie zum Auszug zu bewegen. „Ohne Mieter kann man besser verkaufen!”
Ayhan Buharaleoglo jedenfalls denkt nach 46 Jahren an einen Neuanfang. „Wir suchen eine neue Wohnung", sagt er. „Eigentlich ist es sehr schön hier, es ist warm und die Aussicht ist großartig. Aber vielleicht ist es Zeit, zu gehen."