Hagen. Sinfonische Filmkonzerte erfreuen sich in den deutschen Großstädten wachsender Beliebtheit. Endlich konnte auch das Hagener Publikum die Kombination aus Orchesterklängen und bewegten Leinwandbildern genießen.
Sinfonische Filmkonzerte erfreuen sich in den deutschen Großstädten wachsender Beliebtheit. Endlich konnte auch das Hagener Publikum die Kombination aus Orchesterklängen und bewegten Leinwandbildern genießen. Das Sinfoniekonzert lockte 1000 Gäste in die Hagener Stadthalle, darunter viele Besucher, die nicht zu den klassischen Programmen kommen. Am Ende strahlten alle vor Begeisterung.
Bernd Wilden, ehemals Kapellmeister in Hagen, ist ein gefeierter Spezialist für die Komposition von Stummfilmmusiken. Dabei hat er schon häufiger mit den Hagener Philharmonikern zusammengearbeitet, die gerne gesehene Gäste beim Bielefelder Film- und Musikfest sind. Dort spielte das Orchester 2009 auch die Uraufführung von Wildens Partitur zu Richard Eichbergs „Die keusche Susanne“ aus dem Jahr 1926.
Situationskomik lauert überall
„Die keusche Susanne“ ist natürlich in Wahrheit ein Früchtchen in dieser herrlichen Klamotte. Situationskomik lauert überall, etwa, wenn die mannstolle Susanne einen Tugendpreis erhält, wozu das Orchester „Wir winden Dir den Jungfernkranz“ intoniert – oder wenn der Aushilfsober Alexis das Kellnerballett auf der Treppe des Moulin Rouge zu Fall bringt.
Genau für diesen Slapstick braucht der Stummfilm Musik. Sie ist nicht einfach nur eine Tonuntermalung, sondern schafft im besten Fall eine eigenständige Erzählebene, die interpretiert, illustriert und die Handlung ironisch kommentiert. Schon sehr früh haben sich Komponisten wie Camille Saint-Saens oder Arthur Honegger („Pacific 237“) für das neue Medium Film interessiert. In der Praxis begleitete ein Pianist die Vorführungen mit Stegreifimprovisationen. In den Filmpalästen der großen Städte gab es zudem schnell eigene Kinokapellen. Anfangs spielten diese Ensembles wahllos zusammengestellte Melodienpotpourris. Dadurch wurde mancher Film regelrecht ruiniert, etwa wenn zu einer Sterbeszene heitere Musik erklang. Daher setzten sich mehr und mehr originale Filmpartituren durch. Davon sind jedoch nur sehr wenige überliefert. Übrigens: Als der Tonfilm den Stummfilm ablöste, verloren allein in Deutschland 12 000 Musiker ihre Arbeit.
Klänge müssen taktgenau zum Bild kommen
Bernd Wilden hat nun für „Die keusche Susanne“ eine passgenaue Komposition geschrieben, in der er einerseits die Instrumente klangmalerisch einsetzt – so wirft das Fagott Fragezeichen ins Geschehen und die Flöte flirtet. Andererseits unterlegt Wilden die Handlung mit einer überbordenden Fülle aus Zitaten von „Üb’ immer Treu und Redlichkeit“ über den Walkürenritt bis zu „Heut geh’ ich ins Maxim“. Dazu kommt flotte Tanzmusik, und das Schlagzeug bringt Real-Aktion ins Spiel, etwa beim Boxkampf zwischen René und Hubert. So wird die Musik tatsächlich sprechend, zeichnet Emotionen und treibt die Ironie auf die Spitze.
Diese Klänge müssen taktgenau zum Bild kommen, sonst geht der ganze Effekt verloren. Wenn der Eiffelturm erscheint, ertönt die Marseillaise, keine Sekunde früher und keinen Lidschlag später. Diese hohe Kunst der Synchronisation beherrscht Wilden als Komponist und als Dirigent meisterlich. Die Hagener Philharmoniker haben genauso viel Spaß an der Sache wie das Publikum, sie musizieren blitzsauber und voller Leidenschaft.
Allerdings könnte man mit Blick auf eine wünschenswerte Fortsetzung der sinfonischen Filmkonzerte von einer größeren Leinwand in der Hagener Stadthalle träumen.