Hagen..

So unterschiedlich die Bewohner des städtischen Männerasyls sind, so vielfältig sind auch ihre Pläne für 2011.

Raus aus der Warteschleife und seine Rente bewilligt bekommen, das wünscht sich Rolf Szymanski (67) fürs neue Jahr. Alfons Elling (46) möchte nach seiner Haft-Entlassung im Wohnmobil nach Süddeutschland. Und für Ralf Wrede (57) beginnt mit dem Jahreswechsel ein neuer Lebensabschnitt in den eigenen vier Wänden. Sein größter Wunsch: Gesundheit. So unterschiedlich die Bewohner des städtischen Männerasyls sind, so vielfältig sind auch ihre Pläne für 2011.

Ralf Wrede hat nach vier Monaten im Männerasyl geschafft, was die anderen Bewohner im Verlauf des Jahres noch schaffen sollen. Zurück in die eigene Wohnung, zurück ins „normale“ Leben. Aber das stand für den Altenpfleger auch nie außer Frage. Doch als er im Spätsommer nach Jahrzehnten zurück in seine Heimat Hagen kam, fand er auf die Schnelle keine Wohnung. Das Männerasyl war für ihn Anlaufstelle. „Mir ging’s dreckig“, erzählt der gesundheitlich stark angeschlagene Mann und hat sich von seinem kleinen Zimmer in der Wohntrainings-Etage aus gekümmert: um die Rente, um die Wohnung und Renovierung seiner neuen Bleibe in der Innenstadt. „Die Jungs haben alles für mich gemacht“, lobt er die Gemeinschaft im Asyl an der Tuchmacherstraße.

Trotzdem sieht es nicht gut aus. Gerade war die Amtsärztin da. Die Lunge und der Magen machen dem Altenpfleger zu schaffen. Einmal pro Woche hat Medizinerin Ute Müller vom Gesundheitsamt oder ihre Kollegin Birgit Schäler hier Sprechstunde. Die Männer kommen dann mit offenen Beinen, Leistenbrüchen oder einfach nur zum Blutdruck messen. „Wir finden diese Aufgabe total spannend“, sagt Ute Müller. „Wenn man einmal geholfen hat, hat man bei ihnen einen Stein im Brett.“ Auch wenn sie weiß, dass ihre Möglichkeiten begrenzt sind. Denn der Gesundheitszustand der Bewohner ist deutlich schlechter im Vergleich zum allgemeinen Durchschnitt. Zu viel haben die meisten hinter sich. Sie haben sich schlecht ernährt. Oft sind Drogen, Alkohol oder psychische Erkrankungen im Spiel. Jetzt kommt noch der kalte Winter hinzu. Da will (fast) niemand freiwillig auf der Straße leben.

„Die Auslastung ist hoch und liegt über den Vorjahren“, sagt der leitende Mitarbeiter Burkhard Müller bei einem Rundgang. Im Eingangsbereich riecht’s morgens um elf nach Alkohol – ohne den viele nicht durch den Tag kommen. Das Nachtasyl im Erdgeschoss erinnert an eine Mischung aus Krankenhauszimmer und Jugendherberge. Bis zu 20 Männer kommen in drei kargen Schlafsälen unter. In einem hat Alfons Elling Unterschlupf gefunden. „Da muss man sich seinen Humor bewahren“, sagt der gelernte Dachdecker über das Zusammenleben mit sechs Mitbewohnern zwischen grauen Spinden und wenigen persönlichen Dingen. Der 46-Jährige empfängt uns im Schlafanzug, dreht erstmal Phil Collins leiser und kocht eine Kanne Kaffee. Auch sein Status ist unklar. „Eigentlich steht mir Stempelgeld zu“, erzählt er. Im Moment aber lebt er vom Leergut sammeln. „Das bringt so zwei Euro am Tag.“

„Vor 15 Jahren war es noch die klassische Klientel, alkoholkranke Männer zwischen 30 und 50. Heute haben wir fast alle Berufsgruppen und Krankheitsbilder hier“, sagt Müller. Sie sind durch alle sozialen Raster gefallen – und nach Gefängnis, Therapien, Schicksalsschlägen oder Krankheit an der Tuchmacherstraße gestrandet. „Wir sind die letzte Möglichkeit“, so Müller.

Da ist aber auch der kultivierte Pilot aus Amerika, der bei einem Bootsunfall an der US-Küste sämtliche Papiere verloren hat und sich diese als gebürtiger Deutscher nun neu beschaffen muss – das dauert. Da ist aber auch der alkoholkranke Obdachlose, der bis vor kurzem noch in einer Bushaltestelle in Eppenhausen gehaust hat.

Gut die Hälfte der bis zu 40 Männer ist in Einzel- und Zweibettzimmern untergebracht. Mehr als 100 Männer wohnen hier im Laufe des Jahres. „Unser Ziel ist es, dass die Leute wieder in Wohnraum kommen“, betont Müller. „Wir wollen nicht so attraktiv sein, dass sie bleiben.“ Ein Wohntraining bereitet zumindest diejenigen darauf vor, die dazu überhaupt in der Lage sind.

Ralf Wrede hat bereits gepackt. Er kommt aber mal wieder vorbei. Der Kameradschaft wegen. Mit seinen Zimmernachbarn hat er Weihnachten gefeiert. Mit geschmücktem Baum, Schoko-Nikoläusen und Edelhirsch, den sie gemeinsam gekocht haben. „Das haben wir gut gemacht.“ Alfons Elling will wieder als Dachdecker Fuß fassen. Und Rolf Szymanski wartet hier nur noch auf seine Rente.

Keine Frage, irgendwann im neuen Jahr wollen sie zurück im normalen Leben sein.