Hagen. .

Vielleicht ist es ihr letztes Weihnachtsfest. Christa Schmidt weiß das, seit sie am 26. September diese Diagnose erhielt. Bauspeicheldrüsenkarzinom stand in dem Brief, inoperabel. Seither lebt die zierliche Frau mit der Gewissheit eines wachsenden Tumors in ihrem Bauch. Mehr noch - sie akzeptiert es: „Ich versuche, das Beste draus zu machen und denke mir immer: Ach, sei froh, dass du noch laufen kannst. Man soll nicht undankbar sein.“

Eigentlich heißt die 70-Jährige ja gar nicht Schmidt. Aber ihren richtigen Nachnamen möchte sie lieber nicht in der Zeitung lesen. Das würde jede Menge Anrufe von Bekannten bedeuten, die durch den Artikel von der Krankheit erfahren haben. Traurige Gespräche, in denen es um kaum etwas anderes als den Krebs geht. Nee, das ist nicht ihr Ding. Lieber lenkt sie sich ab, liest, schaut fern, telefoniert. „Und wenn mal ein Tränchen kommt“, sagt sie und lächelt, „denke ich an was Schönes. Dann ist es wieder weg.“

„Chemotherapie - das tu’ ich mir nicht an“

Auch interessant

Wann sie erstmals mit dem Tod konfrontiert wurde, weiß Christa Schmidt noch genau. Damals, als sie so um die 40 war, und ihre jüngere Kusine starb. Bei der Beerdigung war sie so verwirrt, dass sie das Grab später allein nicht wiederfand. Vor einigen Jahren musste sie dann erleben, wie ihr Mann an Krebs erkrankte. Wie die Behandlung ihre Spuren hinterließ. Wie die Chemotherapie aus einem kräftigen Kerl einen Menschen mit nicht einmal mehr 100 Pfund machte. Und letztlich doch vergebens war. „Deshalb habe ich entschieden: Das tust du dir nicht an.“

Auf dem Balkon steckt sich Christa Schmidt eine Zigarette an, zieht genüsslich daran und erzählt. Im Einzelhandel hat sie gearbeitet und später in der Gastronomie, war immer gern mit Menschen zusammen. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Zu ihren beiden Töchtern besitzt sie ein ebenso gutes Verhältnis wie zu den zwei Enkeln. „Der Ältere studiert schon“, sagt die Großmutter und ein bisschen Stolz schwingt in der Stimme mit. „Neulich lernte er für eine Klausur. Da habe ich gesagt: Jetzt hör mal kurz auf damit, ich muss dich erst mal knuddeln. So etwas erlebt man nun bewusster.“

Sie erzählt von dem Ferienhaus in Norddeutschland, in dem sie mit ihrem Mann wunderschöne Tage verbrachte. Von den Spaziergängen, die sie mit Verwandten und Bekannten immer noch gerne unternimmt. Vom wöchentlichen Besuch auf dem Markt, wo es besonders leckere „Kartöffelkes“ gibt. Aber auch von den Medikamenten, die den körperlichen Möglichkeiten inzwischen Grenzen setzen: „Das sind ganz schöne K.o.-Tropfen.“ Doch selbst dem kann sie etwas Positives abgewinnen: „Immerhin hatte ich dadurch bisher noch keine Schmerzen. Toi, toi, toi.“

Die 70-jährige Frau drückt die Zigarette aus, geht in die Küche und kocht noch einen Kaffee. Mit der modernen Maschine, die so gut in die helle, freundliche Wohnung passt. Nein, an den Himmel, das Paradies, wie es die Religionen beschreiben, vermag sie nicht so recht zu glauben. Allenfalls, dass die Seele irgendwie weiterlebt: „Vielleicht bedeutet Seele ja, dass auch später noch von einem gesprochen wird.“ Aber trotzdem: Der Tod bereite ihr keine Furcht. Eher schon, dass es ihr irgendwann schlechter gehen wird.

„Zum Geburtstag gebe ich einen aus!“

Früher, da war Christa Schmidt ein Mensch, der weit vorausschaute; einer, der immer Pläne schmiedete. Das hat sich geändert: „Heute warte ich ab, was morgen ist.“ Und morgen, das bedeutet Weihnachten. Wie all die Jahre zuvor im Kreise der Familie - und doch so anders. „Nach außen bin ich ja hart, aber ein bisschen Angst habe ich davor“, gibt die 70-Jährige zu. „Wenn mich meine Kinder abholen, muss ich mich zusammenreißen. Es könnte ja mein letztes Weihnachten sein.“

Doch die Wehmut verschwindet so schnell wie sie gekommen ist. Plötzlich ist Christa Schmidt wieder die unternehmungslustige, aktive Frau. Im Sommer würde sie gern noch einmal verreisen. Mit all ihren Lieben, in die Sonne nach Fuerteventura. Und vorher gebe es einen weiteren besonderen Termin: „Am 31. März habe ich Geburtstag. Da gebe ich noch einen aus!“

Sagt’s und lacht aus vollem Herzen.