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Songül Karakaya ist immer ein bisschen „außer der Reihe“, wie sie selbst sagt. Doppelhaushälfte, Einbauküche, Stollenstücke auf dem Tisch. In der Ecke blitzt der fertig dekorierte Weihnachtsbaum silbern. Der Kamin knistert und verströmt Wärme. Vom Herd wabert ein nussartiger Geruch durchs Haus. Die Süßsuppe köchelt. Asure ist ein traditionelles Gericht der Aleviten. „Ich lebe wie eine Deutsche und bin im Innern eine Türkin“, bringt die 39-Jährige zwei Kulturen auf einen Nenner. Knapp 20 Jahre hat sie in den jeweiligen Ländern gelebt. Die türkischen Wurzeln sind stark, der Einfluss in Deutschland ist’s auch.
Die Süßsuppe ist nur ein Element, das die Mutter von drei Kindern aus ihrer Herkunftskultur bewahrt hat und alle Jahre wieder kocht. Zwölf Tage glaubensbedingtes Fasten liegen vor dem Genuss der dickflüssigen Speise, die - auch das ist Tradition - an Freunde und Nachbarn verteilt wird.
Die Freunde sitzen auch mit am Tisch. Gaby und Manfred Schnettker. Die Familien sind schon lange befreundet, seit die Kinder gemeinsam im Kindergarten waren. Rüya und Moritz sind heute 17. Damals, da war Songül Karakaya gerade zwei Jahre in Deutschland.
Über den Kindergarten kam die Alevitin - die Aleviten sind eine in der Türkei nicht anerkannte Religionsgemeinschaft - zu den religiösen Feiertagen. „Ich war bei jedem Gottesdienst dabei.“ Sie hinterfragte die Bedeutung von Weihnachten - und begann es, auch der kleinen Tochter zuliebe, zu feiern. Ohne religiösen Bezug - wie Schnettkers übrigens auch. Seitdem backen sie im Hause Karakaya Plätzchen und servieren Stollen.
Als ausgebildete Hebamme entwickelte sie dennoch eine besondere Beziehung zu dem besonderen Geburtstag am 24. Dezember. „Wie man den Geburtsvorgang als etwas Heiliges, Schönes erlebt, so erlebt man Heiligabend.“ An den zwei anderen Weihnachtstagen trifft man Songül Karakaya dann auf türkischen Feiern. Sie pickt gern Rosinen - die kulturellen Kalorienbomben.
„Ich mische die Kulturen, das ist eine Bereicherung. Außerdem bin ich so doppelt stark.“ Sie schneidet Aprikosen und Orangen, Schnettkers knacken Nüsse und hacken sie klein. Sie teilen sich ihre Kulturen (mit). „Ich mag es, Leuten auch unaufgefordert die türkische Kultur nahezubringen.“
Bei den Kindern - Songül Karakaya ist allein erziehend mit drei Töchtern - ist das schon ganz anders. „Zwischen denen gibt’s keine Unterschiede mehr“, bemerkte Manfred Schnettker neulich noch mal auf dem Geburtstag seines Sohnes. „Alle rauchen Wasserpfeife und trinken Wodka“, lacht Schnettker.
Seit einigen Jahren treffen sich die Karakaya-Frauen und Familie Schnettker an einem der Weihnachtstage. Was gekocht wird, steht noch nicht fest. Dafür gibt’s eine Rahmenbedingung: An Heiligabend darf alles auf den Tisch kommen. Alles außer Sauerbraten. Da hört’s dann auf bei Songül Karakaya mit der Rosinenpickerei.