Niggenbölling.
Sie nehmen 40 Kilometer lange Umwege zur Arbeit auf sich und veranstalten Schneeschiebefeste. Die Bewohner aus Niggenbölling, Hobräck und Co. haben mehr als alle anderen mit den Schneemassen zu kämpfen - und trotzdem nichts zu meckern.
Die Müllabfuhr ist schon seit fünf Wochen nicht mehr gekommen, die Pferde stehen bis zum Bauch im Schnee, und Frau Niggenbölling aus Niggenbölling sagt: „So eine Schneeschaufel ist doch ein Witz.“ Sie stellt die Schaufel beiseite, mit diesem Witzgerät kommt sie ja doch nicht gegen die weißen Massen an, hier oben in Niggenbölling, 371 Meter über dem Meer, zwei Häuser, zwei Familien, elf Einwohner, Niggenböllings und Fischers, müssen sich mit dem Schnee arrangieren. Die Landschaft ist ein Bilderbuch, wenn die Sonne scheint, glitzert der Schnee, und die Kinder fahren Schlitten auf der Rodelbahn, die ihnen Friedrich Flüs (64) aus Hobräck mit der Treckerschaufel gezogen hat.
Hobräck ist auch so ein Weiler in den Hagener Bergen, vier Häuser, 28 Menschen, 394 Meter über NN, es ist die höchste bewohnte Ortschaft im Stadtgebiet. Wer noch überlegt, ob Hagen nun zum Ruhrgebiet oder zum Sauerland gehört - Riepegelle und Grunsbecke und Deipenbrink und Rumscheid und Stollen und Hunsdiek und Selkinghausen sind Berge und Schnee, Schnee und Berge, sind Sauerland. „Unten in der Stadt wird soviel Bohei um das bisschen Schnee gemacht“, sagt Gudrun Fischer (54). „Das ist doch normal im Winter.“
40 Kilometer langer Umweg
Völlig normal verläuft das Leben in den verschneiten Hagener Dörfern dann aber doch nicht. Weil die Straße über Rölvede seit Wochen gesperrt ist, muss Landwirt Walter Fischer aus Niggenbölling seinen Sohn Steffen (17), der eine Lehre zum Industriemechaniker in Rummenohl absolviert, derzeit über Hunsdiek, Dahl und Rummenohl zur Arbeit bringen. Ein 40 Kilometer langer Umweg, der Vater und Sohn dazu zwingt, um 5.20 Uhr aufzustehen.
Oder die private Schneekasse, in die die Einwohner der kleinen Ortschaften gemeinsam einzahlen, um einen privaten Räumdienst und die Schneezäune, die Schneeverwehungen auf den Straßen verhindern sollen, zu finanzieren. Zwar schickt auch der Hagener Entsorgungsbetrieb an Schultagen ein Fahrzeug in die Berge, doch die Böllinger und Röteldieker und Hemhardter möchten auch mal am Abend oder am Wochenende ins Tal fahren. Im Sommer, wenn es sogar in Hobräck nicht schneit, treffen sie sich dann alle zum großen Schneeschiebefest, mit dessen Erlös die Schneekasse gefüllt wird. „Der Gemeinschaftssinn wird durch die prekäre Lage im Winter nur gestärkt“, sagt Friedrich Flüs.
Berg-Hagener möchten nicht weg von Zuhause
Denn auch wenn es keine Straßenlaternen gibt und es ab halb fünf Uhr dunkel ist, wirklich stockdunkel, auch wenn das Wasser in den Leitungen ab minus zehn Grad zu frieren beginnt und die Rohre im Kuhstall zu platzen drohen, auch wenn die Müllabfuhr wochenlang nicht kommt und man die gelben Säcke auf der Schubkarre zum nächsten Verschlag bringen muss, auch wenn man bei dieser Mörderkälte um 5 Uhr aufstehen muss, um die Pferde zu füttern, bevor man zur Arbeit fährt, auch wenn man jetzt kein Schwein mehr zum Schlachthof bringen kann und der für halb acht bestellte Krankentransport erst um 9 Uhr die Bergstraße heraufgeschliddert kommt - sie möchten hier oben nicht weg, die Berg-Hagener.
„Um Himmels willen“, sagt Friedrich Flüs, der in Hobräck geboren ist und einst in Hobräck sterben wird. „So ist nun mal der Winter.“