Hagen. .

Für Andreas Rau ist jeder Tag Welt-Aids-Tag. Der Erzieher und Sexualpädagoge (43) leitet die Beratungsstelle der Hagener Aidshilfe. Im Interview erklärt er, warum Aids nicht für sich alleine betrachtet werden darf.

Für Andreas Raus ist der 1. Dezember wie jeder andere Tag auch. Denn für den Leiter der Beratungsstelle der Hagener Aidshilfe ist jeder Tag Welt-Aids-Tag. Im Gespräch erzählt er, warum die Aidshilfe auch 23 Jahre nach ihrer Gründung so wichtig ist, wie am ersten Tag.


Frage:
Was bedeutet der jährliche Welt-Aidstag am 1. Dezember für Sie?

Rau: Für mich ist jeder Tag Welt-Aids-Tag, weil ich in dem Thema arbeite. Es ist aber trotzdem gut, wenn man einzelne Tage für bestimmte Themen hat. Die Bevölkerung braucht das.

Frage:

Andreas Rau.
Andreas Rau. © WP

Inwiefern?

Rau: Um sich das Thema in Erinnerung zu rufen. Wir bekommen vermehrt Anfragen von Schulen, aber auch Anmeldungen zum HIV-Test. Das beginnt immer schon Anfang November und setzt sich bis zum Jahresende fort.

Frage: Das heißt, Aids ist in Hagen nach wie vor ein Thema?

Rau: Sicher hat es nachgelassen. Aber es ist auch Blödsinn, Aids für sich allein zu betrachten. Jugendliche leben in einem Umfeld, in dem sie mit Sex, Drogen und Alkohol konfrontiert werden. Aids muss man daher in den alltäglichen Kontext stellen.

Frage: Sie haben ja häufig Schüler in der Beratungsstelle an der Körnerstraße zu Gast. Fühlen sich die Jugendlichen ausreichend aufgeklärt?

Rau: Es sind zunächst die Lehrer, die glauben, dass HIV ein wichtiges Thema für ihre Schüler ist. Aber wenn die Jugendlichen bei uns in der Beratungsstelle sind, merken sie schnell, dass es kein schulisches Thema ist, sondern mit ihnen zu tun hat. Dann fragen sie unheimlich viel.

Frage: Der Info-Bedarf ist also groß.

Rau: Viele Jugendliche wissen definitiv nicht Bescheid. Sie halten zum Beispiel Küssen für gefährlich. Es ist sehr diffuses Wissen, das sie haben.

Frage: Demnach haben Sie also nach wie vor genug zu tun.

Rau: Reichlich. Das hat auch mit einer anderen Einstellung zum HIV-Test zu tun. Seit einigen Jahren haben wir z.B. verstärkte Testkampagnen in NRW. Je mehr Menschen zum Test kommen, desto mehr Positive findet man - auch Menschen, die bereits lange das Virus in sich tragen, sich also nicht frisch infiziert haben. Es kristallisiert sich ein besserer Kontakt zu den Positiven heraus.

Frage: Wie viele Menschen sind denn in Hagen mit dem HI-Virus infiziert?

Rau: Das ist schwer zu sagen. Die Tests erfolgen ja anonym. Angegeben werden dabei nur die ersten beiden Stellen der Postleitzahl. Im Bereich 58XXX leben demnach etwa 500 bis 600 Menschen mit HIV. Davon sind etwa 60 bis 100 bei uns in der Betreuung.

Frage: Anonyme Tests lassen nach wie vor auf Diskriminierung der Betroffenen schließen.

Rau: Es gibt massive Stigmatisierung. Offiziell ist HIV z.B. kein Kündigungsgrund. In der Realität ist das anders. Das fängt mit der Frage an, ob ein Positiver im Restaurant arbeiten darf. Die Angehörigen erleben das Stigma genauso mit.

Frage: Gibt es weitere Schwierigkeiten bei Ihrer Arbeit?

Rau: Die Finanzen. Seit 23 Jahren gibt es die Aidshilfe, seit 23 Jahren sind die Finanzmittel ein massives Problem.


Frage:
In einer hoch verschuldeten Stadt wie Hagen wohl erst recht.

Rau: Wir können nicht einsparen. Bittsteller sind wir aber nicht. Denn wir machen eine Aufgabe, die die Kommune verpflichtend machen muss. Und zwar als freier Träger und das mit geringeren Mitteln als die Stadt ausgeben müsste, wenn sie die Aufgabe übernehmen würde. Unsere Arbeit multipliziert sich durch das Miteinander von Hauptamtlichen und Ehrenamtlichen. Vieles wäre ohne Ehrenamtliche nicht denkbar.

Frage: Vieles wäre sicherlich auch vor 16 Jahren nicht denkbar gewesen, als Sie bei der Aidshilfe angefangen haben. Was hat sich geändert?

Rau: Damals sind sehr viele unserer Klienten verstorben. Es gab ja noch nicht die medikamentöse Behandlung wie heute. Jetzt leben die Menschen nicht nur länger, sondern auch besser. Damit stellen sich andere Herausforderungen. Wir arbeiten mehr in der Lebensbegleitung und machen aus Betroffenen Beteiligte an unserer Arbeit.

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Mit Andreas Rau sprach
Carolin Annemüller