Hagen.

10 250 Kilometer. Das entspricht ungefähr der Entfernung von Hagen nach La Paz in Bolivien, Kuala Lumpur in Malaysia oder Lima in Peru. Harald de Vries hat exakt diese Strecke im vergangenen Jahr zurückgelegt – und zwar nicht mit Auto, Bahn oder Flugzeug, sondern auf dem Rad. Jeden Tag fährt der 57-jährige Mitarbeiter des Umweltamtes von seinem Wohnort Altena mit dem Fahrrad zur Arbeit ins Hagener Rathaus. Täglich 58 Kilometer – bei Hitze, Regen und Schnee.

„Es begann als eine Art Selbstexperiment. Ich wollte wissen: Was kann ein durchschnittlicher Mensch leisten?“, beschreibt der 57-Jährige die Idee zu dieser ungewöhnlichen Form des Pendelns. Hinzu kam sein besonderes Verhältnis zur Natur, die nicht nur beruflich, sondern auch privat eine gewichtige Rolle in seinem Leben spielt. Kopfzerbrechen bereitet de Vries bis heute besonders die Luftverschmutzung, „denn das Schlimme daran ist, dass die Konsequenzen ausbleiben“. Nicht bei ihm: 2006 machte er Nägel mit Köpfen und stieg vom Motorradsitz auf den Fahrradsattel um.

Trotz der 120 Kilo, die er damals auf die Waage brachte, stellte er schnell fest, dass 29 Kilometer zur Arbeit und 29 zurück auch für einen normalen Menschen zu schaffen sind. Und noch etwas fiel ihm auf: „Das ist die einzige Zeit des Tages, in der man wirklich über Gott und die Welt nachdenken kann. Wenn ich abends nach Hause komme, bin ich nicht müde. Das Gegenteil ist der Fall: Ich habe jedes Mal das Gefühl, dass es mir etwas gegeben hat.“

Die Kondition nahm fortan stetig zu, die zuvor nötige Selbstkontrolle beim Essen entfiel, ein neues Körperbewusstsein setzte ein – de Vries wurde mit der Zeit geradezu süchtig nach den täglichen Touren. Nur ein Körperteil spielte nach einiger Zeit nicht mehr mit: „Mein Hintern tat weh.“ Doch wer Schnee, Glatteis und Hitze auf sich nimmt, löst auch solche Probleme: „Mittlerweile habe ich mir schon den zweiten Po schonenden Sattel zugelegt.“

Auto und Motorrad hat der 57-Jährige inzwischen verkauft, allmorgendlich startet er um 5.30 Uhr, um über Nachrodt, Letmathe und Hohenlimburg das Hagener Rathaus anzusteuern. Zwischen 60 und 75 Minuten nehmen die 29 Kilometer in Anspruch, auf denen in der Anfangszeit nicht selten Lastwagen im Zentimeterabstand an ihm vorbeirauschten. „Rad und Auto sind zwei Welten“, schildert er seine Erfahrungen: „Seitens der Autofahrer gibt es da wenig Akzeptanz.“ Doch damit ist es nun vorbei. Nicht zuletzt aufgrund seiner Anregung wurde der Rand der B 236 zwischen Altena und Nachrodt so ausgebaut, dass dort nun gefahrloses Radeln möglich ist.

Bei schönem Wetter, wählt Harald de Vries für den Rückweg aber auch schon mal die anstrengendere, zugleich landschaftlich schönere Strecke über das Nahmertal. „Die Buche bei Sassenscheid ist ein wunderbarer Platz. Da mache ich dann ein Päuschen und rauche eine Pfeife. Das ist für mich wie Kurzurlaub.“