Hagen. Sie fühlen sich belästigt, verfolgt, bedroht. Permanent. 100 Menschen betreut die Hagener Polizei zurzeit. Sie alle sind Opfer von Stalkern. Weil es so viele sind, gibt es im Polizeipräsidium für die Verfolgten eine eigene Anlaufstelle: die Kriminalprävention Opferschutz.
Er war wieder da. Daniela Krafelk (Name von der Redaktion geändert) ist mit den Nerven am Ende. Er war wieder da, er ist aus Hamburg angereist, und diesmal hat er ihr Auto zertrümmert: die Reifen zerstochen, alle Scheiben eingeschlagen, den Lack zerkratzt. 9000 Euro Schaden.
Sie kann nicht beweisen, dass er es war, aber er muss es gewesen sein. Auch die Polizei glaubt das, auch sie hat keinen Beweis. Er ist aus Hamburg nach Hagen gekommen, um ihr Auto zu zerstören und ihr Leben, und dann ist er nach Hamburg zurückgefahren. Keine Beweise.
Der Schutz der Opfer steht im Vordergrund
„Stalker sind erfindungsreich", sagt Wolfgang Heidl von der Hagener Kripo. „Wenn es darum geht, ihre Opfer zu drangsalieren, sind sie zielstrebig, vorsichtig und umtriebig." Sie schleichen nachts um Häuser, spähen durch Fenster, lauern hinter Büschen und bombardieren ihre Opfer ununterbrochen mit E-Mails, Anrufen und Briefen. Daniela Krafelk (34) hat Angst. Er ist ihr Ex-Freund. Ich komme dich bald wieder besuchen, hat er am Telefon gesagt.
Kein Einzelfall. Über 100 Menschen, die permanent belästigt, verfolgt und bedroht werden, betreut die Hagener Polizei zurzeit. Und weil es so viele sind, gibt es im Polizeipräsidium für die Verfolgten eine eigene Anlaufstelle: die Kriminalprävention Opferschutz. Und wie es der Name schon sagt: Der Schutz der Opfer steht im Vordergrund der polizeilichen Arbeit, vor die Bestrafung der Täter hat der Gesetzgeber hohe Hürden gesetzt. „Staatsanwälte sind sogar häufig der Meinung, einen Stalker anzuklagen, liege nicht im öffentlichen Interesse", berichtet Heidl.
In Hohenlimburg wurde eine Frau erschossen
Nicht im öffentlichen Interesse: In Hohenlimburg wurde vor einigen Jahren eine Frau von ihrem ehemaligen Freund erschossen. Zuvor hatte er ihr monatelang nachgestellt. „Die Gewaltspirale ist eine typische Entwicklung", so Christiane Buss, die Leiterin der Kriminalprävention Opferschutz. Anfangs versuche es der Stalker mit Worten, am Ende können Freiheitsberaubung und sexuelle Nötigung stehen.
Oder es wird ein Auto zertrümmert.
Es geht fast immer um "Beziehungskisten"
Die Theorie von der Gewaltspirale ist die perfekte Schablone zur Geschichte der Gertrud Schwarz (41/Name von der Redaktion geändert), Mutter eines Sohnes, Stalkingopfer. „Beim Stalking geht es fast immer um Beziehungskisten", sagt Kommissar Heidl.
Bei Gertrud Schwarz ist es der zweite Ehemann. Sie hat ihn jetzt neun Monate nicht gesehen, der Amtsrichter hat ihm untersagt, sich seiner Frau zu nähern. Es ist keine drei Jahre her, da hat sie ihn noch „abgöttisch" geliebt. Sie sagt es ohne Scham, es bricht nur so aus ihr heraus, sie sagt, es helfe ihr, das Geschehen zu verarbeiten, wenn sie es immer und immer wieder erzähle, und außerdem sei es ihre Lebensversicherung, wenn möglichst viele Menschen wüssten, mit was für einem A. . . sie zusammengelebt habe.
Fünfzig Anrufe an einem Tag
Denn sie hat immer noch Angst, dass er eines Tages doch wieder aus einem Gebüsch platzen könnte. Die Ehe mit dem Abgott, aus dem das A. . . wurde, diese Ehe sei daran gescheitert, dass er sie überwacht habe: „Beim Telefonieren musste ich den Lautsprecher anschalten, weil er mithören wollte, er durchsuchte meine Handtasche, checkte meine E-Mails, überprüfte mein Handy. Er verlangte, ich dürfe mich nicht mehr mit meiner Freundin verabreden. Selbst wenn ich zu meinem Sohn ins Zimmer ging, folgte er mir."
Er folgte ihr auch noch, nachdem sie ausgezogen war. Zuerst rief er sie fünfzigmal am Tage an, dann stand er jeden Tag bei ihr vor der Tür, und als sie nicht mehr öffnete, klingelte er und hörte nicht auf zu klingeln, er drohte mit Selbstmord, wartete nachts im Auto vor ihrer Wohnung, preschte aus einem Busch, um sie zur Rede zu stellen, kündigte an, sich aufzuhängen, und nannte Ort und Zeit, so dass ihn die Polizei mit einem Strick um den Hals auf einer Mauer sitzend finden konnte, sagte ihr, sie könne jetzt ihre übrigen Sachen abholen, schlug ihr mit der Faust ins Gesicht, verbrühte ihr den Arm mit kochendem Wasser, sagte, er lasse sie jetzt in Ruhe und vergewaltigte sie.
Polizeilicher Druck führt relativ schnell zum Erfolg
Es ist kaum möglich, nicht in einem Artikel, die komplexen Motive zu entschlüsseln, die Gertrud Schwarz lange von einer Anzeige gegen ihren Noch-Mann abhielten. Als sie dann doch zur Polizei ging und mit Hilfe von Wolfgang Heidl die richterliche Verfügung gegen das A. . . erwirkte, hatten die Nachstellungen allmählich ein Ende. Zwar setzte der Stalker seiner Frau zunächst weiterhin zu, hatte aber jetzt selbst die Polizei im Nacken.
„Unsere Erfahrung ist, dass heftiger Druck relativ schnell zum Erfolg führt", so Heidl. Im Übrigen arbeite er nicht darauf hin, den Stalker ins Gefängnis zu bringen: „Ich will die Situation für das Opfer erträglich machen. Alles andere ist zweitrangig."
Stalking kommt in den besten Kreisen vor
Stalking ist nicht, wie man vielleicht meinen könnte, eine Frage des Milieus. Stalking kommt in den besten Kreisen vor. Und nicht immer liegt Stalking eine Beziehungskiste zugrunde, nicht immer sind Eifersucht oder Kontrollwahn die Motive.
Einen Hagener Unternehmer, berichtet Heidl, trieb der abnorme Wunsch an, andere Menschen bloßzustellen. Eine ihm unbekannte Frau sprach er im Beisein mehrerer Zeugen auf dem Tennisplatz an: „Das war wunderschön mit Dir letzte Nacht, das sollten wir wiederholen." Dann machte er auf dem Absatz kehrt, die Frau vergaß den Vorfall, bis der Fremde eines Tages vor ihrer Haustür stand und ihrem Mann einen Strauß Rosen übergab: „Sie haben eine wunderbare Frau. Wirklich."
Jeden Abend vor der Haustür
Die Belästigungen wuchsen sich zu einer wahren Verfolgungsorgie aus, bis ein Richter auch in diesem Fall ein Annäherungsverbot verhängte. Der Unternehmer musste mindestens 100 Meter Abstand zu der Frau halten. Genau 100 Meter vom Haus der Frau entfernt malte er mit Kreide einen Strich auf die Straße und postierte sich dahinter. Abend für Abend.
Die Ehe der Frau ist mittlerweile geschieden, der Stalker verfolgt sie nicht mehr.
Er hat sein Ziel erreicht.