Hagen. Wie echt sind die Tränen dieser Mutter? Maike P. (38) behauptet vor dem Landgericht, völlig zu unrecht einer schweren Misshandlung beschuldigt zu werden: „Ich habe Sina niemals auch nur einen kleinen Klapps gegeben.”

Auch der mitangeklagte Lebensgefährte Ralf J. (42) leugnet jede Gewalt: „Wir haben nie geschlagen.”

Seit diesem Freitag verhandelt die Jugendschutzkammer die Qualen der jungen Sina, die nur 17 Jahre alt wurde - und in dieser kurzen Lebenszeit einen Alltag voll unfassbarer körperlicher Misshandlungen, unvorstellbarer Demütigungen und seelischen Erniedrigungen erfahren haben soll. Die Anklageschrift, verlesen von Staatsanwältin Marie-Josee Lagemann, lässt selbst hartgesottene Zuhörer schaudern: Manche Details sind so widerlich, dass man sie mit Rücksicht auf das Ansehen der Verstorbenen nicht aufschreiben kann.

Übernachtung in der Duschkabine

Unter anderem, so der Vorwurf, musste in den Jahren 1998/99 die damals Sechsjährige nachts in einer Duschkabine schlafen, weil sie sich regelmäßig einnässte. Mal mit, aber oft auch ohne Bettzeug. Dort musste das Kind auch sein Bettzeug auswaschen und dabei im Wasser sitzen.

Nach seiner Einschulung soll das Mädchen in dem Dreifamilienhaus an der Lindenstraße (Vorhalle) regelmäßig in einem Kellerverlies eingeschlossen worden sein. Dort musste es sich nackt auf den kalten Boden legen. „Auch wurde Sina immer wieder mit gefährlichen Werkzeugen gequält”, trägt die Staatsanwältin aus der Anklageschrift vor.

Schläge mit Gürteln und Hosenträgern

Es geht um Schläge mit Hosenträgern und Gürteln, so heftig, dass sich blutige Striemen auf dem Rücken des Mädchens abzeichneten. Um wuchtige Kochlöffel-Hiebe ins Gesicht, bei denen Narben zurückblieben. Die Gründe sind banal. Beispiel: „Sina hatte sich unerlaubterweise ein Stück Kuchen genommen.”

Die Verhandlung wird gleich nach Beginn unterbrochen, denn die beiden Angeklagten wollen nichts sagen. So verstreichen unnötig zwei Stunden. Dann erklären die beiden Verteidiger Lutz Bormann und Hans Joachim Pottmeyer, es habe „ein Missverständnis vorgelegen”, sie wollten sich doch einlassen.

Künstliches Koma

Mutter Maike P. (38), schulterlanges Haar, Mittelscheitel, Designerbrille und Glitzerstein am Nasenflügel, sagt unter Tränen: „Kurz vor ihrem dritten Geburtstag musste Sina nach ihrem ersten Asthma-Anfall ins künstliche Koma versetzt werden. Das war ein Horror-Erlebnis für mich.” Von den Horror-Erlebnissen, die sie laut Anklage ihrer eigenen Tochter zugefügt haben soll, will sie aber nichts wissen: „Ich rege mich sehr leicht auf, das ist mein Problem. Dann habe ich oft geschrieen.” Und geschlagen? „Nie.”

Lebensgefährte Baggerfahrer Ralf J., mit Schnauz und schütterem Haar, zeichnet ein schlechtes Bild von Sina. Sie sei fordernd gewesen, hätte alles haben wollen: Geld, ein Handy, einen eigenen Computer und ein eigenes Zimmer. Und er unterstellt dem Kind böse Absichten: „Wenn ihr irgendwas nicht gepasst hat, war sie die nächste Nacht nass.”

„Sina konnte auch, zumindest zum Schluss, Asthma-Anfälle absichtlich herbeiführen.” Er ist noch immer überzeugt: „Diese Anfälle waren nur vorgetäuscht, um irgendetwas aus dem Weg zu gehen.”

Der letzte angeblich „vorgetäuschte” Asthma-Anfall endete auf der Intensivstation. Die 17-Jährige verstarb daran.

Fortsetzung am 2. März.

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