Hagen. Corinna de Vries, Leiterin der Kita am Krankenhaus Hagen (AKH), schlägt Alarm. Dem Kindergarten droht die Insolvenz. Weitere Träger sind besorgt.
Als vor 33 Jahren der Kindergarten „Die Wurzelzwerge“ am Allgemeinen Krankenhaus Hagen (heute Agaplesion Klinikum) gegründet wurde, war Corinna de Vries-Kleibrink schon mit von der Partie. Seitdem hat es gute und schlechte Zeiten gegeben, doch so dramatisch wie jetzt war die Situation der Kita noch nie, berichtet die Leiterin: „Das Geld reicht hinten und vorne nicht mehr. Uns fehlen 6000 Euro im Monat. Unsere Kita ist kurz vor der Insolvenz.“
Der Kindergarten am AKH, in dem 34 Kinder betreut werden, wird von einem Elternverein getragen. Das bedeutet, dass er nur zu 96,6 Prozent öffentlich gefördert wird, den Restbetrag von 3,4 Prozent, den sogenannten Trägeranteil, muss der Elternverein selbst finanzieren. „Die Eltern jedes unserer Kinder leisten schon jetzt, zusätzlich zum Kita-Beitrag, einen Vereinsbeitrag von 50 Euro im Monat“, berichtet die Leiterin: „Mehr ist ihnen einfach nicht zuzumuten.“
Tarifabschluss bringt Einrichtungen in Bedrängnis
Die jüngst in den Tarifverhandlungen ausgehandelte Gehaltserhöhung von mindestens 340 Euro (200 Euro Sockelbetrag mehr und danach ein Anstieg um 5,5 Prozent) für Erzieherinnen sei für die ohnehin um ihre Existenz kämpfenden Eltern-Kitas „ein Schlag ins Gesicht“ gewesen, ärgert sich de Vries-Kleibrink. Nun ist es nicht so, dass sie ihren Mitarbeiterinnen das Geld nicht gönnt: „Wir zahlen natürlich nach Tarif, schließlich leisten wir die gleiche Arbeit wie die kommunalen und kirchlichen Kindergärten.“ Doch wenn auf der einen Seite die Kosten steigen, müsse der Staat die Einrichtungen auf der anderen Seite auskömmlich finanzieren: „Sonst gerät das System in eine Schieflage.“
Und diese Schieflage sei längst vorhanden. Ihre Mitarbeiterinnen hätten im vergangenen Jahr schon auf Weihnachtsgeld und damit zwischen 1500 und 2000 Euro verzichtet, berichtet de Vries-Kleibrink: „Sonst hätten wir direkt zumachen können.“
Kita-Bündnis fordert auskömmliche Finanzierung
Nicht nur die Wurzelzwerge befinden sich in finanzieller Bedrängnis. Das Kita-Bündnis NRW, in dem die freien Kita-Träger in Nordrhein-Westfalen zusammengeschlossen sind, sieht rund 8000 Kindergärten vor dem drohenden Aus. „Die Situation ist extrem dramatisch und so noch nie dagewesen“, sagt Sprecher Mario Weis: „Das führt zu existenzieller Not und radikalen Einsparmaßnahmen, die letztlich auf dem Rücken der betreuten Kinder ausgetragen werden.“ Die Qualität der Kinderbetreuung, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die Bildungsansprüche unserer Gesellschaft insgesamt und der Rechtsanspruch der Familien an Bildung, Betreuung und Erziehung ihrer Kinder würden unnötig aufs Spiel gesetzt.
Zwar hat die Landesregierung in Düsseldorf eine Übergangszahlung von 100 Millionen Euro in Aussicht gestellt und im neuen Kita-Jahr soll die Kindpauschale von vier auf zehn Prozent steigen, doch ob diese Finanzspritze ausreicht, bezweifelt nicht nur Corinna de Vreis-Kleibrink: „Von den 100 Millionen entfallen auf meine Kita gerade einmal 7600 Euro. Das reicht hinten und vorne nicht.“
Andere Betroffene sehen das ebenso. Dana Beuth-Kramer (35), Mutter von zwei Kita-Kindern und im Vorstand der ebenfalls von einer Elterninitiative getragenen Kita Funckenhausen in Vorhalle, spricht von einer unfassbar schwierigen Situation: „Die bevorstehende Tariferhöhung kostet uns so viel wie eine Vollzeitkraft. Das bricht uns das Genick und wir werden die Erhöhung nicht mitgehen können.“ Aber ein abweichendes Gehalt vom Tarif könne und dürfe keine Lösung sein. Im kommenden Kita-Jahr fehlten 40.000 Euro Fördergeld: „Dieses Loch können wir nicht stopfen.“ Die Rücklagen reichten noch für maximal zwei Jahre, bevor man die Kita schließen müsse.
106 Kindergärten in Hagen
Das Kita-Bündnis fordert daher u.a. einen Refinanzierungsmechanismus, der garantiert, dass Tarifergebnisse und Sachkostensteigerungen zeitnah und in gleicher Höhe berücksichtigt werden, sodass keine Lücken mehr entstehen, die freie Träger zwingen, existenzbedrohende Vorleistungen zu erbringen. „Nur so ist gewährleistet, dass große wie kleine Träger und freie wie öffentliche Träger gleich gut in Zeiten des chronischen Fachkräftemangels agieren können“, sagt Mario Weis.
Für manche Betroffene ist es bereits fünf nach zwölf. So muss bei den Wurzelzwergen in Hagen eine Mitarbeiterin zum 1. März gehen, weil ihr Gehalt nicht mehr finanzierbar ist. „Die Situation ist schlimm“, sagt die Leiterin. „Wir müssen Personal kündigen, um zu überleben.“
In Hagen gibt es laut Stadtverwaltung inzwischen 106 Kindergärten, davon 27 städtische. 45 Einrichtungen befinden sich in kirchlicher Trägerschaft, 16 werden von Elternvereinen getragen. Es gibt 17 Großtagespflegestellen und 142 Tagesmütter.