Hagen. Überwältigend für die Organisatoren, wie viele Menschen in Hagen zur Demonstration gegen Rechtsextremismus kamen. Ein Report aus der Menge.
An der Elberfelder Straße gibt es kleine Läden, die inhabergeführt sind. Von Migranten. Sie sind herausgekommen und stehen sichtlich ergriffen vor den Geschäften. 5000 Menschen ziehen an ihnen vorbei Richtung Volkspark. Sie skandieren gegen Nazis, gegen Fremdenhass.
So viele Menschen wie wohl noch nie
Chandra Prakash Iha steht auch dort. Er ist Inder, lebt seit 15 Jahren in Hagen. Er weiß: Die Demonstrierenden sind auch für ihn auf der Straße. „Das ist ein unglaubliches Zeichen“, sagt er. „Einfach unglaublich“. Die Demo gegen Rechtsextremismus in Hagen hat die Erwartungen der Organisatoren weit übertroffen - und so viele Menschen in den Volkspark geholt, wie sie dort wohl noch nie zu einer Demo zusammengekommen sind.
Bewegung: unmöglich. Der Ebert-Platz ist so voll an diesem Abend, dass kein Fuß vor den anderen gesetzt werden kann. Die Menschen sitzen sogar auf und im Mataré-Brunnen. Alle sind da. Teenager, Migranten, Menschen mit Behinderung, per Schild bekennend Homosexuelle, Senioren - und die „Omas gegen rechts“. Letztlich aufrechte und wehrhafte Hagenerinnen gesetzteren Alters. Drei Enkel zählt Andrea Hornickel (65) auf. „Ich will, dass die sehen, wofür wir unser ganzes Leben gelebt haben. Für die Demokratie und die Freiheit. Die sollen in Frieden leben dürfen.“ Eine Mitstreiterin ruft das ins Gespräch, was später in der Konzertmuschel am Mikro noch mal wiederholt wird: „Wir sind alt, aber nicht stumm.“
Zusammenhalt in der Gesellschaft
Ein paar Meter weiter stehen die, denen man lange glaubhaft gemacht hat, dass Vertreibung und Faschismus nur etwas aus dem Geschichtsbuch ist. Die, die angeblich im ewigen Frieden aufwachsen und sich weit weg sehen sollten von braunen Ideologien. Lena Steinhoff zum Beispiel, 17 Jahre jung. Ihr gehört die Zukunft. „Deswegen bin ich auch hier. Ich will mich für die Demokratie einsetzen, für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft.“
Nach dem Marsch in den Volkspark schreiten die vielen Organisatoren der Demo ans Mikro. Sie müssen laut sprechen. Die Menschen stehen bis auf den Nassau-Platz vor C&A. Michael Eckhoff tritt vor. Er ist Stadtheimatpfleger, ein historisches Hirn dieser Stadt. Er hat ein Foto dabei. Von seinem Opa Erich. „Die Nazis haben ihn gefoltert und gequält. Ich habe ihm noch zu Lebzeiten versprochen, dass sowas in unserem Hagen nie wieder passieren wird. Deshalb stehe ich heute hier.“ Applaus, wie in einem Fußballstadion. Kai Hasselberg von der evangelischen Jugend ruft der Menge zu: „Ich grüße alle Religionsgemeinschaften in dieser Stadt. Es heißt: Liebe deinen Nächsten, nicht schiebe ihn ab.“
Inszenierte Lesung
Sven Söhnchen und seine Tochter Manou Ruthmann inszenierten eine kurze Lesung. Er zitierte das Grundgesetz und Klassiker der Demokratie. Sie die hasserfüllten Zitate von AfD-Abgeordneten- und Mitarbeitern. Vom „Volkskörper“, von „Deportationen“, von „Tänzen auf Leichen.“ Alles so offiziell gesagt vor erst einiger Zeit. Der Fremdenhass und auch der Antisemitismus werden öffentlich zur Schau getragen durch die AfD, sollte das zeigen.
Dann der, den Moderatorin Alexandra Gerull als den bezeichnet, „der im Maschinenraum der Demokratie in Hagen“ sitze. Oberbürgermeister Erik O. Schulz. Lauter Jubel brandet auf. Repräsentativ auch für die, die dem Rechtsruck auf lokalpolitischer Bühne die Stirn bieten. Schulz - das ist höchst ungewöhnlich für ihn - liest ab. Dafür sitzt in den Ohren der 5000 Zuhörer jedes Wort. „Es ist richtig, sich dieser Tage Sorgen um die Demokratie zu machen. Zunehmend bestimmen populistische Haltungen auch in dieser Stadt politische Diskussionen“, sagt er. Er ist sichtlich stolz auf das Zeichen der Bürger. Aber er mahnt auch: „Aufzustehen und herzukommen, ist wichtig, reicht aber auf Dauer nicht aus. Es setzt bei jedem von uns an. Jeden Tag. Unsere Demokratie braucht uns mehr denn je.“