Hagen. Tatiana Micheli aus Hagen hat keine Chance auf Heilung. Sie erzählt von der Angst vor dem Tod, ihrem Willen weiterzuleben und ihrer Lebensfreude
„Ich werde sterben. Vielleicht nicht heute oder morgen, aber ich werde sterben. Wahrscheinlich auch an meinem Krebs.“ Der Tod, er ist Tatiana Michelis Begleiter. Seit der ersten Lungenkrebsdiagnose 2015. Es gab immer wieder Hoffnung, Jahre ohne Krebs. Aber dann folgten eine zweite und eine dritte Diagnose. Jetzt gibt es keine heilende Therapie mehr. Keine OP, keine Bestrahlung, keine Chemo kann Tatiana Micheli heilen. Die Medizin, viel mehr ein besonderes Medikament für eine bestimmte Lungenkarzinom-Mutation (KRAS G12C) wie die von Tatiana Micheli, kann ihr lediglich mehr beschwerdefreie Lebenszeit schenken. „Wie viel, das kann niemand sagen.“
Tatiana Michelis Geschichte ist eine Geschichte über den eigenen Tod. Eine Geschichte, die wir seit letztem Jahr begleiten. Vielmehr aber noch soll ihre Geschichte vom Leben handeln. Ein Leben, das für alle endlich ist. Für manche früher, manche später. „Ich hatte lange Todesangst. Mittlerweile nicht mehr. So kurios das klingt“, sagt die Hagenerin.
Die eigene Beerdigung geplant
An vielen Tagen ist der Tod nicht mehr so präsent in ihrem Leben wie kurz nach den Diagnosen, als die Ärzte ihr sagten, dass es für sie nicht gut aussieht. „Ich habe nach der letzten Diagnose nach Hospizen geschaut, mich mit meiner Beerdigung beschäftigt, alles geplant. Das hat mir in einer Art und Weise Ruhe gegeben. Sicherheit“, sagt Tatiana Micheli. Sie holte sich auch therapeutische Hilfe und schloss sich einer Selbsthilfegruppe an. „Das war ein wichtiger Punkt, um überhaupt wieder ins Leben zu finden.“
Tatiana Micheli sagt auch einen Satz, der anderen Betroffenen Mut machen soll. Weil ihre Geschichte nämlich genau das tun soll: Mut und Kraft schenken. „Man sollte jeden Moment genießen. In dieser Hinsicht war mein Krebs vielleicht sogar ein Geschenk. Er hat mich wachgerüttelt, ich habe mein Leben verändert, mich Dinge getraut, die ich ohne die Diagnose nie gemacht hätte. Geld und Arbeit sind nicht alles im Leben. Viele kommen nicht in den Genuss, das zu tun, was sie möchten. Meine Krankheit hat mir viel Zeit gegeben, und auf einmal wusste ich: Was du tun willst, musst du jetzt tun. Solange es noch geht.“
Reisen und die Welt entdecken
Sie reiste mehrere Wochen lang allein über den Jakobsweg. Sie machte eine Weltreise mit ihrem Mann. Mehrere Pilger-Urlaube auf dem Jakobsweg mit einer Freundin, ebenfalls Krebspatientin. „Ich bin dankbar, wenn ich mit einer Freundin etwas essen gehe. Ich bin auch für diesen Spaziergang dankbar. Ich bin einfach dankbarer für alle kleinen Momente des Lebens. Weil sie für mich nicht mehr selbstverständlich sind“, sagt Tatiana Micheli bei einem Spaziergang über den Jakobsweg in Breckerfeld. Ein Weg, der ihr in all den Jahren so viel Kraft und Zuversicht geschenkt hat. Auf diesem Spaziergang fließen Tränen. Es wird gelacht. Gescherzt. Es werden auch kurze Pausen eingelegt, weil Tatiana Michelis Lunge aufgrund der schweren Operationen nicht mehr so funktioniert, wie es eine gesunde eben tut.
Aktuell fühle sie sich gut. „Ich bin in Remission, es waren zuletzt keine Tumorzellen mehr nachweisbar. Aber es passiert oft, dass Patienten irgendwann eine Resistenz aufbauen. Das Medikament ist letztlich dafür da, ein lebenswerteres Leben ohne Symptome zu bescheren. Bei manchen tritt die Resistenz nach sechs Monaten ein, bei manchen nach zwei Jahren“, sagt Tatiana Micheli. Bald steht wieder eine Untersuchung für sie an. „Ich bin ehrlich: Im Moment will ich es gar nicht wissen. Ich versuche, damit zu leben, so gut es geht.“
„Dann bin ich eben todkrank, immerhin seid ihr gesund“
Um sie herum seien schon viele Menschen gestorben. „Ich bin ja nichts Besonderes. Aber eigentlich bin ich nicht in dem Alter, in dem man sterben muss“, Tatiana Micheli zuckt die Schultern. Sie weiß, dass ihre Diagnose auch für die Familie eine extreme Belastung war und ist. „Ich sage dann nur: Dann bin ich eben todkrank, immerhin seid ihr gesund.“ Tatiana Micheli lächelt.
Vor allem ihre Familie habe ihr in all den Jahren unfassbar viel Kraft gegeben. Es sei wichtig, sich ein gutes Netzwerk aufzubauen. Aus Familie, guten Ärzten, Freunden oder aber Selbsthilfegruppen und Psychotherapeuten. Sie habe sich schnell therapeutische Hilfe bei einer Psychotherapeutin mit onkologischer Ausbildung geholt. „Das hat mir sehr geholfen. Ich habe nach den Terminen immer gestrahlt.“ Überhaupt sei es wichtig, offen über den Tod zu sprechen. „Mein Vater war Italiener. In Italien beispielsweise geht man ganz anders mit dem Thema um. Die meisten Älteren kaufen ihr Grab schon viel eher und zeigen es dir“, erinnert sich Tatiana Micheli. Sie tat es nicht.
Ja, es sei schwierig, optimistisch zu bleiben, wenn der Tod einen stetig und immer begleitet. „Ich war schnell auf der Suche nach jemandem, der meine Art von Krebs überlebt hat und habe niemanden gefunden. Das hat mir einen harten Schlag gegeben.“ Sie sortierte für sich aus – mit allem, auch mit Menschen, „da war ich rigoros. Ich mache nur noch das, was mir guttut.“ Und: „Ich kann felsenfest sagen, dass ich jetzt glücklich bin. Ich habe meine Lebensversicherung aufgelöst, um reisen zu können. Ich renne glücklich durch die Gegend, gehe tanzen, oder einfach spazieren mit unserem Hund Sammy. Ich habe eine tolle Familie, tolle Freundschaften“, Tatiana Micheli lächelt wieder.
Buen Camino, Tatiana Micheli
Sie zeigt auf ihr Tattoo am Bein, mit der Jakobsmuschel, einer Sonne und dem Spruch „Buen Camino“ – was so viel heißt wie: Guten (Jakobs)Weg. Ihr persönlicher Stempel. „Mit meinem Gang auf dem Jakobsweg hat alles angefangen.“ Er gab ihr Kraft und Zuversicht. Bis heute. „Und ich habe noch viel vor...“
Buen Camino, Tatiana Micheli.