Hagen. Die Polizei Hagen nimmt die Ängste besorgter Bürger im Bahnhofsquartier ernst und versucht gezielt gegenzusteuern. Ein Interview:

Bei jeglicher Angstraum-Thematik richten sich die Hilfe-Rufe der Politik gerne in Richtung Polizei. Vor diesem Hintergrund stellt sich der Erste Polizeihauptkommissar Tino Schäfer, Leiter der Pressestelle des Präsidiums in Hagen und in seinem Job-Alltag selbst über Jahre in der Hagener Innenstadtwache mit den Themen rund um den Hauptbahnhof konfrontiert, einigen Fragen:

Gibt es klare Kriterien, die Orte in der Wahrnehmung der Menschen zu einem Angstraum machen oder werden lassen?

Eine polizeirechtliche Definition des Begriffes Angstraum gibt es nicht. Wir nehmen Angsträume an, wenn in einem örtlich begrenzten Bereich eine quantitativ und qualitativ nachvollziehbare Beeinträchtigung des Sicherheitsgefühls der Bevölkerung vorliegt. Diese ist insbesondere durch gezielte polizeiliche Präsenz beeinflussbar.

Aber woher kommt dann bei den Bürgern eine solche Wahrnehmung?

Wann und ob sich ein Raum zu einem Angstraum entwickelt, kann verschiedene Ursachen haben. Hierbei spielen die persönliche Auffassung und das individuelle Empfinden eine wesentliche Rolle. Aber auch das eigene Alter, Geschlecht und Herkunft können relevante Einflussfaktoren sein. So fühlen sich erfahrungsgemäß Frauen an bestimmten Orten unsicherer, als dies Männer tun. Es spielen aber auch Faktoren wie die Uhrzeit, Dunkelheit und spezifische örtliche Begebenheiten eine Rolle. Als typische Merkmale von Angsträumen werden häufig die Unübersichtlichkeit, schlechte Beleuchtung, Menschenleere oder auch mangelnde Sauberkeit angeführt.

Welche grundsätzlichen Empfehlungen gibt die Polizei beispielsweise an Stadtplaner, um das Entstehen von Angsträumen zu vermeiden?

Tino Schäfer, Sprecher des Hagener Polizeipräsidiums, macht deutlich, dass die Behörde auf mehreren Ebenen versucht, die Sicherheitslage im Bahnhofsquartier zu verbessern. Er betont aber auch, dass dies nicht allein durch polizeiliche Arbeit gelingen kann.
Tino Schäfer, Sprecher des Hagener Polizeipräsidiums, macht deutlich, dass die Behörde auf mehreren Ebenen versucht, die Sicherheitslage im Bahnhofsquartier zu verbessern. Er betont aber auch, dass dies nicht allein durch polizeiliche Arbeit gelingen kann. © WP | Michael Kleinrensing

In einigen Fällen erarbeitet die Hagener Polizei projektbezogen kriminalpräventive Empfehlungen für Stadtplaner. Die Unterstützungstätigkeit der Polizei beginnt dann mit der Sensibilisierung der Verantwortlichen für die Belange der städtebaulichen Kriminalprävention. Das Ziel der beratenden Mitwirkung bei Planungsprozessen ist insbesondere die Vermeidung von späteren Tatgelegenheitsstrukturen, um das individuelle Sicherheitsempfinden jedes einzelnen Menschen langfristig positiv zu beeinflussen. Folgende Punkte können hierbei beispielhaft relevant sein: schlecht einsehbare Bereiche verhindern, Beschädigungen und Verunreinigungen beseitigen, gute Beleuchtung von Flächen, Wohnungen nach Kriterien einer guten sozialen Durchmischung vergeben, auf Über- und Unterführungen bei Fuß- und Radwegen verzichten, attraktive und gut einsehbare Warteflächen an Busbahnhöfen schaffen, ausreichend Mülleimer aufstellen oder auch vandalismusresistentes Material in allen Bereichen einsetzen.

Welche Maßnahmen und Strategien bieten sich bei der Polizeiarbeit an, um den Bürger zumindest in einem gewissen Maß Angstgefühle zu nehmen?

Die Hagener Polizei ist sehr bestrebt, sich entwickelnde oder bereits bestehende Angsträume zu identifizieren und entsprechende Maßnahmen anlassbezogen durchzuführen. So individuell wie sich ein Angstempfinden darstellt, so individuell sind teilweise auch die Möglichkeiten damit umzugehen. Sichtbare polizeiliche Präsenz ist eine Maßnahme, welche sich generell als sehr effektiv im Bereich von Angsträumen zeigt und häufig auch von Bürgerinnen und Bürgern zielgerichtet eingefordert wird. Die Anwesenheit von uniformierten Polizistinnen und Polizisten ist erfahrungsgemäß dazu geeignet, ein Angstgefühl deutlich zu reduzieren.

Aber sich öfter zu zeigen, kann allein doch wohl kaum ausreichen, oder?

Nein, wir paaren die polizeiliche Präsenz grundsätzlich mit entsprechenden Kontrollmaßnahmen – häufig als Schwerpunkteinsätze mit Unterstützung der Einsatzhundertschaft – und sorgen zudem für eine breite Öffentlichkeitswirksamkeit. Oftmals werden subjektiv Ängste wahrgenommen, die sich rein objektiv durch entsprechende Kriminalitätsfallzahlen nicht belegen lassen. Hier versucht die Hagener Polizei, die Bevölkerung durch die Darstellung der tatsächlichen Sachlage aufzuklären und über diesen Weg Ängste zu nehmen. Darüber hinaus ist unser Kriminalkommissariat Prävention/Opferschutz als Fachdienststelle für den Bereich der Verhaltensprävention zuständig und gibt im Hinblick auf Unsicherheitsempfindungen wichtige Hinweise an Bürgerinnen und Bürger. Die polizeiliche Presse- und Öffentlichkeitsarbeit stellt sich als einer von mehreren wesentlichen Schlüsseln bei einer „Angstbekämpfung“ dar. Hierüber soll der Bevölkerung insbesondere vermittelt werden, dass die Polizei subjektiv wahrgenommene bzw. tatsächlich vorhandene Problembereiche erkannt und diese mit entsprechenden polizeilichen Maßnahmen zielgerichtet sowie dauerhaft im Fokus hat.

Wie beurteilt die Polizei Hagen konkret die Situation im „Angstraum Bahnhofsquartier“?

Wir haben es uns bereits vor einigen Jahren zur Aufgabe gemacht, das subjektive Sicherheitsgefühl im Umfeld des Hagener Hauptbahnhofs zu stärken. In der Vergangenheit wurde deutlich, dass sich Bürgerinnen und Bürger bzw. Geschäftsinhaber in Teilen im Bahnhofsumfeld unsicher fühlen. Das Sicherheitsempfinden wird hier durch zahlreiche Faktoren beeinflusst: Hier werden beispielsweise immer wieder ein erhöhter Grad an Vermüllung, schlechte Beleuchtung, dunkle Hauseingänge und der Leerstand von Geschäften genannt. Hinzu kommt die Anwesenheit von Personen des Trinker- und Drogenmilieus mit gelegentlichen Konflikten innerhalb der Gruppen, welche für einige Menschen ebenfalls ein Gefühl der Unsicherheit auslösen.

Aber das sind doch durchaus klare Punkte…

Dieses Unsicherheitsempfinden lässt sich allerdings objektiv nicht belegen, da von diesem Personenkreis für Unbeteiligte grundsätzlich keine Gefahr ausgeht. Verstärkend hinzu kommen verschiedene kumulierte soziale Problemlagen, die eine verringerte informelle Sozialkontrolle zur Folge haben. Ansammlungen von größeren Gruppen mit Migrationshintergrund – insbesondere in den Abendstunden -, die sich teilweise mehrere Stunden im Umfeld des Bahnhofs aufhalten, werden Berichten zufolge zudem als relevant für ein Unsicherheitsempfinden wahrgenommen. Auch diese subjektive Einschätzung ist objektiv nicht belegbar.

Also alles bloß Einbildung?

Für die Hagener Polizei ist es sehr gut nachzuvollziehen, dass die Strukturen insgesamt dazu geeignet sind, ein Unsicherheitsempfinden zu vermitteln. Aus diesem Grund steht dieser Bereich ja in einem besonderen polizeilichen Fokus und wird mit entsprechenden Maßnahmen versehen. Objektiv betrachtet weist das Umfeld bzw. der Vorplatz des Hagener Hauptbahnhofs eine hohe Verkehrsbelastung auf und ist generell – besonders auch durch Pendlerinnen und Pendler – sehr belebt. Daher ist die Einsatzbelastung hier naturgemäß für die Polizei in verschiedenen Tätigkeitsfeldern insgesamt als hoch zu bewerten.

Können Sie das auch mit Zahlen unterfüttern?

Im Jahr 2023 wurden bisher 169 Delikte der Straßenkriminalität in diesem Bereich festgestellt. Im vergangenen Jahr waren es im gleichen Zeitraum 176 Delikte. Die Fallzahlen sind im Vergleich zum Vorjahr somit insgesamt leicht rückläufig. Den Schwerpunkt stellen hierbei Diebstahls- und Körperverletzungsdelikte sowie Sachbeschädigungen dar. Im Vergleich zu den Jahren 2019 bis 2021 ist allerdings - bezogen auf das Jahr 2022 - im Bereich der Straßenkriminalität ein Anstieg von insgesamt 23 Prozent feststellbar. Bei den Rauschgiftdelikten konnte im Vergleich zum Vorjahr eine Steigerung von 176 auf 255 Taten festgestellt werden. Diese Steigerung verdeutlicht die deutliche Erhöhung der Kontrollintensität der Hagener Polizei im Bereich der Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität. Generell kann man sagen, dass die Wahrscheinlichkeit, im Umfeld des Bahnhofs Opfer einer Straftat zu werden, generell als gering einzustufen ist. Pro Tag wird hier im Bereich der Straßenkriminalität weniger als ein Delikt polizeilich bekannt.

Mit welchen Maßnahmen versuchen Sie das Sicherheitsgefühl dort zu verbessern?

Natürlich ist es ein wesentliches behördenstrategisches Ziel, die öffentliche Sicherheit im Bahnhofsquartier zu verbessern und damit auch das subjektive Sicherheitsgefühl zu optimieren. Dabei kommt bereits seit mehreren Jahren ein umfangreiches Maßnahmenkonzept zum Einsatz, welches immer wieder überprüft und anlassbezogen angepasst wird. Die Hagener Polizei ist dort regelmäßig und engmaschig mit uniformierten, aber auch zivilen Kräften im Einsatz. Insbesondere die Kontrolleinsätze wurden hierbei in diesem Jahr noch mal deutlich erhöht. Bei den Kontrollen steht die Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität in einem besonderen Fokus. Die Polizei geht im Bereich des Umfelds des Hagener HBF mit einer „Null-Toleranz-Strategie“ vor.

Nennen Sie bitte mal ein Beispiel.

Das fängt schon mit der Bekämpfung von Verkehrsordnungswidrigkeiten an. Hierzu zählt beispielsweise die gezielte Überwachung des beampelten Fußgängerüberweges am Graf-von-Galen-Ring. Unsere Beamtinnen und Beamten stoßen dabei nicht selten auf das Unverständnis von Betroffenen, die die Ampel bei Rotlicht passiert haben. Das Verfolgen von eher niederschwelligen Verstößen – zum Beispiel Parkverstößen – gehört hierbei ebenfalls zu einem gesamtheitlichen Konzept und soll deutlich machen, dass die Polizei nicht normgerechtes Verhalten im Bereich des Bahnhofsumfeldes generell nicht toleriert. Zudem soll in dem belebten Bereich dadurch die Verkehrssicherheit erhöht werden.

Was gibt es, von der engen Zusammenarbeit innerhalb des Präsidiums zwischen uniformierten Kräften und Beamten der Kriminalpolizei mal abgesehen, noch für Maßnahmen?

Darüber hinaus arbeitet die Hagener Polizei eng mit den Ordnungsbehörden, dem Zoll und der Bundespolizei zusammen und führt regelmäßig gemeinsame Kontrollen durch. Auch hier sorgen wir für eine breite Transparenz über Pressearbeit und Social-Media-Kanäle berichtet.

Wie erklären Sie den klaffenden Unterschied zwischen dem subjektiven Sicherheitsempfinden der Menschen und der objektiven Einschätzung der Angst- bzw. Sicherheitslage?

Das objektive Sicherheitsgefühl basiert auf messbaren Daten. Das subjektive Sicherheitsgefühl ist stark von persönlichen Erfahrungen, Emotionen und Wahrnehmungen geprägt. Bezogen auf das Umfeld des Hagener Bahnhofs bleibt festzuhalten, dass weniger als eine Straftat pro Tag im Bereich der Straßenkriminalität polizeilich festgestellt wird. Allerdings gibt es dort eben Faktoren, die eine grundsätzliche Kriminalitätsfurcht begünstigen. Deswegen hat die Hagener Polizei diesen Bereich als Schwerpunkt definiert und belegt ihn regelmäßig mit polizeilichen Maßnahmen.