Hohenlimburg. Der Platz neben der reformierten Kirche in Hohenlimburg trägt jetzt den Namen von Margot Stern. Zahlreiche Besucher wohnten der Einweihung bei.

Warum der doch so zentral zwischen Kirche und evangelisch-reformiertem Gemeindehaus gelegene Platz in der Hohenlimburger Innenstadt, an dem Freiheit- und Herrenstraße zusammenlaufen, bislang namenlos war, wusste sich gestern niemand so recht zu erklären. Seit Montag ist er es nicht mehr. Zahlreiche Menschen wohnten seiner Benennung in „Margot-Stern-Platz“ bei. „Ich bin sehr froh, dass das bei uns einstimmig und ohne große Diskussionen beschlossen wurde“, sagte Stefan Welzel, der die Namensgebung angestoßen hatte: „Das ist nicht in jeder Stadt so.“

Nach Margot Stern ist ein schöner Platz in Hohenlimburg nun benannt.
Nach Margot Stern ist ein schöner Platz in Hohenlimburg nun benannt. © WP | Hubertus Heuel

Die Jüdin Margot Stern war erst 15 Jahre alt, als sie von den Nationalsozialisten ermordet wurde. Sie lebte mit ihren Eltern und ihrem Bruder in der Wesselbachstraße 4 – direkt neben der Hohenlimburger Synagoge und Schlossbrauerei (heute Werkhof). „Familie Stern fühlte sich wohl in Hohenlimburg“, so Welzel. Es sei anzunehmen, dass Margot als Kind auf jenem Platz, der jetzt ihren Namen trägt, gespielt habe.

Unter dem wachsenden Druck der Nationalsozialisten mussten die Sterns ihr Haus jedoch 1938 aufgeben und Hohenlimburg verlassen. Sie zogen nach Bonn und wurden vier Jahre später nach Maly Trostinez (nahe der weißrussischen Hauptstadt Minsk) deportiert und ermordet. Über ihre genauen Todesumstände ist nichts bekannt, wahrscheinlich wurden die Sterns aber mit tausend weiteren Juden direkt nach der Ankunft in ein Waldstück geführt und erschossen.

Nur Rolf Stern gelang die Flucht aus Deutschland

Zuvor hatte sich die Familie vergeblich bemüht, aus Deutschland auszureisen. Nur Margots Bruder Rolf gelang es, mit einem Kindertransport in die USA zu flüchten, wo er der Armee beitrat und als junger Soldat gegen die Nazis kämpfte und an der Befreiung des Konzentrationslagers Dachau beteiligt war.

Gail und Sheri Stern (rechts), daneben Stefan Welzel.
Gail und Sheri Stern (rechts), daneben Stefan Welzel. © WP | Hubertus Heuel

Für die Sterns liegen Stolpersteine in der Wesselbachstraße, und die Nachfahren haben Hohenlimburg schon mehrmals einen Besuch abgestattet. So auch gestern zur Einweihung des Margot-Stern-Platzes: „Ich bin sehr glücklich, dass wir 80 Jahre nach jenen Ereignissen hierher zurückkehren können, um diesen Platz einzuweihen“, sagte Gail Stern, die Tochter von Rolf Stern: „Das gibt mir Hoffnung. Wir können nicht vergeben und vergessen, aber an das, was damals geschah, erinnern. Und Margots Geschichte zu erzählen, ist ein Schritt in diese Richtung.“

Pfadfinder wollen Stolpersteine reinigen

Es mag manchem Zuhörer einen Stich ins Herz versetzt haben, als Gail Stern berichtete, sie sei ohne Großeltern aufgewachsen, ohne Cousins und Cousinen, ohne Onkel und Tanten. Es gebe ja nicht einmal ein Grab für Margot Stern und all die anderen Ermordeten: „Wir wollen hoffnungsvoll sein, aber wachsam.“

Vincenzo Menna trägt die Todesfuge von Paul Celan vor.
Vincenzo Menna trägt die Todesfuge von Paul Celan vor. © WP | Hubertus Heuel

Auch ihre Schwägerin Sheri Stern erklärte, es sei ihr eine große Ehre, auf diesem Platz zu stehen: „Und keine Angst mehr haben zu müssen, wie meine Familie sie einst hatte.“ Sie hat ein Buch geschrieben mit dem Titel „Reuniting the Neshamas“ (Die Wiedervereinigung der Seelen), auf dem die Stolpersteine der Sterns zu sehen sind und in dem sie erzählt, was die einstige Heimat der Familie noch immer bedeutet.

Auszüge aus diesem sehr persönlichen Werk hat der Hohenlimburger Heimatverein in seinen Heimatblättern veröffentlicht. Vorsitzender Widbert Felka überreichte den Mitgliedern der Familie Stern Exemplare dieser Schrift, ehe Vincenzo Menna (23) das ergreifende Gedicht „Die Todesfuge“ von Paul Celan rezitierte. Derweil erklärten die Pfadfinder des DPSG-Stamms Hohenlimburg ihre Bereitschaft, alle in der Stadt verlegten Stolpersteine einmal pro Jahr zu reinigen: „Wir werden die Messing-Oberfläche polieren und dafür sorgen, dass die Namen lesbar bleiben“, so David Wiegmann.

Pünktlich läuteten die Glocken

Pünktlich zum Schlusslied der Veranstaltung läuteten die Glocken der Kirche die Mittagszeit ein. Pablo Arias, Lehrer am Rahel-Varnhagen-Kolleg Hagen, erinnerte daran, dass die Juden sich zu Lebzeiten von Margot Stern in erster Linie als Deutsche und erst in zweiter Linie als Juden verstanden hätten: „Das hat sie freilich nicht vor Verfolgung geschützt.“ Minderheiten könnten sich nur integrieren, wenn die Mehrheitsgesellschaft das zulasse: „Und das betrifft die Frage der Mitverantwortung, die jeder von uns heute mit nach Hause nehmen darf.“